Topographie des Jenseits
"Wo? Wo bin ich
hier?
Wo ist mein Körper...?"
Berserk (Vol. 13) / Kentaro Miura
[ english version ]
Himmel - Hölle - Fegefeuer
Es gibt nur ganz wenige Begriffsgruppen, die
unmittelbarere bildliche Assoziationen auslösen als diese triadische
Topografie des Jenseits, die sich im Christentum und - mit mehr
oder weniger großen Abweichungen - auch in den anderen Weltreligionen
über Jahrhunderte entwickelt hat. Diese Ausdifferenzierung hat zunächst
ausschließlich über theologische Diskurse und literarische Erzählungen
(wenngleich natürlich auch dort immer über bildliche Vorstellungen),
also über Schrift, stattgefunden, nicht zuletzt wegen des Bilderverbotes
im Judentum und im frühen Christentum. Erst viel später begann die
Tradition bildnerischer und skulpturaler Darstellungen dieser Jenseitsräume
und erst im Hochmittelalter wurden sie auch akustisch erobert, indem
Musik - in Anklängen an die himmlische Sphärenmusik - in die Liturgie
integriert wurde. Mit der Nachahmung der Kakophonie der Hölle schließlich
wurde überhaupt erst im letzten Jahrhundert begonnen. Selbst die
gängige Unterscheidung in E- und U-Musik lässt sich als Nachwirkung
der Diade von Himmels- und Höllenmusik deuten. Das Konzept dieser
Jenseitsräume - geboren aus Strategien der Angst - wirkt beinahe
ungebrochen bis heute fort, ist fester Bestandteil der allgemeinen
Vorstellungswelt und strahlt praktisch in alle Bereiche der kulturellen
Produktion bis hin zur Alltagskultur - Literatur, Film, Musik, Bildende
Kunst und eben auch Comics.
Das Comic Festival 2004 in Graz lässt
sich in diesem Sinn auch als Magazin lesen, das schriftliche, bildliche
sowie akustische, zeitgenössische Deutungen dieser Topografie ins
Blickfeld rückt. Deutungen, die immer auf die Comic Szenen Österreichs
und einiger ausgewählter Nachbarländer bezogen sind, mit besonderem
Fokus auf geglückte narrative Positionen und - funktional gesehen
- Produktionsstrategien der D.I.Y.-Kultur.
Exkurs: Böse Manga
Als Ausgangspunkt:
Guts - der Held in Kentaro Miuras "Berserk" - auf dem Weg
durch eine Welt, in der sich historische Zeiten ineinander verschieben
und überlagern, auf dem Weg durch Escher zitierende Dimensionen,
in der gottähnliche, entstellte Wesen - "God Hand" - ihre undurchsichtige
Herrschaft ausüben, in der Dämonen, Untote und Monster alles Leben
in Stücke reißen und die Erde in jedem Moment zur Hölle machen.
Ein stärkerer Kontrast zu Dantes streng schematisierter Jenseits-Konzeption
von Inferno, Läuterungsberg/Fegefeuer und Paradies in der "Göttlichen
Komödie" scheint nicht denkbar. Denn was bei Dante logisch geordnet
aufeinander folgt, stellt Kentaro Miura auf mehr als 6000 schwarz-weiß
komponierten Seiten als unterschiedliche Seiten ein und derselben
Medaille dar. In Berserk regiert zu allen Zeiten das "Dazwischen".
Die Beschäftigung
mit dem Jenseits, dem Abgründigen, dem Horror hat in japanischen
Manga lange Tradition. Altmeister des Genres Hideshi Hino
hat mit "Panorama of Hell" (Jigoku Hen) 1982 ein Standardwerk geschaffen,
das von der alptraumhaften Reise eines Malers in seine ganz persönliche
postnukleare Hölle berichtet. Hideshi Hino hat auch eine wenig bekannte
filmische Extravaganza zum Thema produziert und dabei wiederum Autorenschaft
auf extreme Weise thematisiert. In "Mermaid in a manhole" (Za Ginipiggu
4: Manhoru no naka no ningyo), der als einer der abstoßendsten Filme
der Geschichte gilt, taucht ein depressiver Maler in die Unterwelt
ab - konkret: ins Kanalsystem: "Here rest all the beautiful things
I've lost". Dort im Müll findet er nicht nur die Überreste seines
Meerschweinchens sondern auch eine Meerjungfrau, deren sich zersetzender
Körper ihm in weiterer Folge als "Material" dient.
Horror-Manga und
Filme - die jeweilige Übernahme von Themen und Stoffen von einem
Medium in das andere lässt sich auch anhand der Manga eines weiteren
Horror-Meisters zeigen. Sowohl Junji Itos "Spiral into Horror"
(Uzumaki) als auch "Tomie" und "Kakashi" wurden erfolgreich verfilmt.
Andererseits gibt's auch zum Film-Klassiker "The Ring" (Ringu) inzwischen
eine Mangaversion. Ein wenig beachteter Aspekt des derzeit grassierenden
Trends der Comic-Verfilmungen von "Spiderman" bis "Punisher", aber
eben auch "Hellboy".
Exkurs: Fegefeuer im Independent
Comic
Dass diese Themen
auch in der anglo-amerikanischen und europäischen zeitgenössischen
Comic-Produktion zur Zeit eine wichtige Rolle spielen, zeigt zum
einen der letzten Herbst erschienen Band "Jimbo in Purgatory", in
dem der in New York lebende Comic-Künstler Gary Panter zum
zweiten Mal auf Dantes Spuren wandelt und seinen Helden mit dem
leeren Blick diesmal durch einen riesigen Infotainment-Test-Komplex
schickt. Der erste Teile (Inferno) erschien noch in Matt Groenings
"Zongo Comics".
Weit über den deutschsprachigen
Raum hinaus ist der Schweizer Thomas Ott bekannt geworden,
der mit "Dead End", "Greetings from Hellville", "Tales of Error"
oder "t.o.t.t." thematisch Einschlägiges publiziert hat. Otts Beschäftigung
mit der dunklen Seiten der Wirklichkeit bildet sich auch in der
von ihm gewählten Technik ab: Er kratzt seine wortlosen Horror-Comics
aus schwarzem Schabkarton. Spielt auch in der Band "Beelzebub".
Auch der Comic Salon Erlangen hat sich übrigens
2004 mit der Ausstellungserweiterung "Dante im Comic - Die Geografie
des Jenseits" mit der Verortung des Lebens nach dem Tod befasst. Dass
auch Godards letzter Film "Notre Musique" der Dreiteilung der "Göttlichen
Komödie" folgt, sei nur am Rande erwähnt.
(Text wird erweitert)
Exkurs: Durchs Feuer gehen
Während die Sache
mit dem Inferno und dem Paradies relativ klar zu liegen scheint
(ewige Qualen oder eben ewige Glückseligkeit), so stellt sich das
Fegefeuer als "Zwischenreich" naturgemäß differenzierter
dar. Einige der sich daraus ergebenden Fragen und Beobachtungen,
die über die katholische Doktrin, aus der sie ableitbar sind, hinaus
von Interesse sein könnten:
- Das Fegefeuer
als Ort und Strafe für die Mittelmäßigen. Im Fegefeuer schmoren
die, die nicht sofort in die Hölle (Todsünder) bzw. in den Himmel
(Heilige) kommen.
- Zeitbegriff zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit: Für
das Beten eines kurzen, einfachen Gebetes werden zwischen 100 und
300 Tage Fegefeuer erlassen; für einen Rosenkranz 2000 Tage ("How
To Avoid Purgatory" von Fr. Paul O´Sullivan).
- Läuterung durch Liebesqual. Katharina von Genua (15. Jh)
erklärt die Qualen des Fegefeuers dadurch, dass die Sünder an der
Erkenntnis der Liebe Gottes leiden.
- Fegefeuer als Leerstelle der Theorie. Entstanden aus der
Diskrepanz zwischen den beiden Konzepten "individuelles Gericht
nach dem Tod" und "gemeinsames jüngstes Gericht am Ende der Zeiten".
Besonders deutlich wird das Problem am Beispiel des Konzeptes des
"Limbus Infantium" für die ungetauften Kinder - ein ewiger Zustand
natürlicher Freude? Jedenfalls nicht der Himmel.
- Hygienefaktor / Zustand. Papst Johannes Paul II ("Drei
Ansprachen bei Generalaudienzen im Sommer 1999 über Himmel, Hölle
und Fegfeuer"): "Diese Bezeichnung meint keinen Ort, sondern einen
Zustand. Alle, die nach dem Tod für die Begegnung mit Gott noch
"gereinigt" werden, sind schon in der Liebe Christi. Dabei ist das
Fegfeuer nicht die Verlängerung des irdischen Lebens. Der Mensch
kann sich nicht noch einmal neu entscheiden. Er kann im Fegfeuer
nicht nachholen, was er einst auf Erden versäumt hat."
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