Mittendrin im Geschehen:
Nachbilder aus einem aufgebrachten Land

Zur Film- und Videoreihe "Die Kunst der Stunde ist Widerstand"
[ Von Dominik Kamalzadeh ]

Die Österreicher sind ein Volk völliger Gleichgültigkeit
Gegenüber ihren katastrophalen Zuständen geworden
Das ist ihr Unglück
Das ist ihre Katastrophe

[ Thomas Bernhard, Heldenplatz ]

"Wie ist es möglich, daß man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird - daß man nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert wird?"1 : Michel Foucaults dringliche Frage nach einem politischen Diskurs, der den mannigfachen Regierungskünsten durch Kritik Einhalt gebietet, lässt sich mit anderer Akzentuierung auch auf die Filmreihe "Die Kunst der Stunde ist Widerstand" anwenden. Der Einwand gegen die herrschende Regierungsform ist auch ein Einwand gegen die dominierende Repräsentation: gegen die Art und Weise, in der das Anliegen, nicht um diesen Preis regiert zu werden, dargestellt wird. Die Öffentlichkeit wurde in Österreich seit dem Beginn dieses Jahres zur Sphäre, sein Missfallen und sein Misstrauen kundzutun. Die Kameras waren stets dabei, nicht nur auf der Seite der Medien. Die Demonstranten führten sie auch selbst mit. Vielen von ihnen wurde sie zum archivarischen Mittel, mit der Funktion, festzuhalten, zu dokumentieren, was sich rund um diesen Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte Österreichs gerade dabei war zu ereignen. Um diese alternative mediale Praktiken soll es gehen, um ein mittelloses, aber höchst politisches Kino. Um vielfältige, sehr heterogene, nur in ihrem oppositionellen Gestus geschlossene Manifestationen einer Gegenöffentlichkeit, produziert in einer Allianz von Laien und bereits erfahrenen Filmemachern. Auf der diesjährigen Diagonale wurden die Beiträge erstmals unter dem Titel "Die Kunst der Stunde ist Widerstand" in einer eigene Schiene präsentiert. Elke Groen, Ralph Wieser und Wolfgang Widerhofer erhielten dafür als Koordinatoren prompt den Preis für innovatives Kino. Seitdem tourt die Reihe in alternierender Zusammenstellung durch Stadt und Land, Auszüge waren u.a. auch auf dem renommierten Dokumentarfilmfestival im Schweizer Nyon zu sehen. Das Anliegen der Filmreihe gilt es nicht zu reduzieren auf die Dokumentation der verschiedenen öffentlichen Aktivitäten, vielmehr soll in ihr die Produktion einer (regierungs)kritischen Haltung verortet werden, womöglich sogar der zuletzt oftmals verhandelten Attribute einer Zivilgesellschaft. Das Herzstück der Zusammenstellung bilden die dokumentarischen Beiträge: Sie vermitteln ein vor allem von der Fernsehberichterstattung (und damit natürlich hauptsächlich von der Darstellung des ORFs) radikal abweichendes Bild von Österreich. Eine eher konventionellen Fernsehformaten verpflichtete (und professionell aufgezogene) Reportage wie "Auf Widerst@nd" von Simon Arazy und Vincent Huffty ist darin eher die Ausnahme, damit aber um so mehr als Beginn einer Auseinandersetzung mit einigen für mich besonders hervorhebenswerten Beiträgen geeignet. Sie stellt in ihren gelungensten Momenten das kommunikative Netzwerk vor, dass die reibungslose Organisation der vielen Widerstände ermöglichte. Sogar der französische "Le Monde" widmete der "guérilla urbaine de Vienne" einen euphorischen Kommentar und hob dabei die Verwendung von Internet und SMS als neuartige Koordinationsmittel hervor. Ob das freie "Radio Orange", die Plattform "get to attack", "Underground Resistance", "Gegen Schwarzblau" und andere mehr, die Arbeit der unterschiedlichsten Aktivistinnen und Aktivisten im Hintergrund wird in "Auf Widerst@nd" präsentiert und miteinander in Beziehung gesetzt. Sein dispersives Vorgehen, sein oft sehr ausgiebiger Fokus auf einzelne Personen und Gruppen, sein quasi-"objektiver", nicht direkt parteinehmender Blick macht den Film jedoch anfechtbar: Sein Wahrheitsmodell bleibt eng an gängige Dokumentationsverfahren orientiert. Dadurch bleibt eine repräsentative Grenze gewahrt. "Zero Crossing" von Navigator (Regie: Johannes Holzhausen) versucht den realpolitischen Moment in die Reflexion zu überführen. Jeweils innerhalb von drei Tagen im März dieses Jahres gedreht und geschnitten, zeigt er Dialoge des Filmemachers mit neun Personen aus verschiedenen Altersgruppen, die der scharz-blauen Regierung kritisch bis ablehnend gegenüberstehen und jetzt ihre noch sehr emotionsbetonten Eindrücke sprachlich zu fassen versuchen. Anja etwa, am Ende des Films zu sehen, 23 Jahre jung, spricht ausdrücklichen das Gefühl an, einen historisch signifikanten Zeitpunkt zu erleben, auf den sie mit großer archivarischer Lust reagiert: Zeitungen, Bilder, persönliche Erlebnisse - Geschichten, die sich noch nicht zu einer Geschichte gefestigt haben. Der Film verfährt auf ähnliche Weise, wenn er ein Panorama über die noch ganz frischen, noch nicht über die Distanz der Zeit und der Erinnerung mutierten Wahrnehmungen erstellen will. Das Setting von "Zero Crossing" ist betont einfach und ökonomisch gehalten. Ein Tisch und zwei Stühle vor einer gelben Wand. Auf der filmischen Ebene vermittelt durch drei wechselnde Einstellungen, die Interviewer, Interviewten oder beide zusammen ins Bild rücken. Die Logik des Gesprächs folgt keinem festgelegten Ablauf, es verläuft vielmehr assoziativ, ist offen für überraschende Wendungen, genauso "gefährdet" vom Stocken der Rede oder leichten Missverständnissen. Holzhausen begibt sich nicht in die Position des Wissenden: Es handelt sich um die Unterhaltungen zweier Gleichgestellter. Die Ratlosigkeit angesichts der politischen Lage, die sich immer wieder bemerkbar macht, wird dadurch zur eigentlichen Qualität des Films. Allen gemeinsam ist ein Ohnmachtsgefühl, die Unmöglichkeit, jetzt noch etwas verändern zu können, es sei denn, sich den allwöchentlichen Demonstrationen anzuschließen und damit seinen Protest kund zu machen. Die donnerstäglichen Wanderungen werden zum Ventil für aufgestaute Affekte wie Wut, Sorge und Angst, zugleich erfüllen sie eine soziale Funktion: Man weiß sich in einer solidarischen Gemeinschaft. "Die Antwort liegt im Gehen"2, schrieb die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz und: "Im Gehen nichts anderes sagen, als dass ich das alles nicht so will. Auch nicht ertragen kann. Das alles falsch gewesen. Das alles neu besprochen werden muss." In "Zero Crossing" geht es um die Artikulation der politischen Wanderer auf einer anderen Ebene. Oder darum, wie sich das Unerträgliche in Worte bringen lässt. Gerade in diesem persönlichen Sprechen, das keiner dezidiert politischen Rhetorik bedarf, ergibt sich womöglich eine neue Möglichkeit für einen politischen Akt. Gilles Deleuze hat einmal in Zusammenhang mit einem modernen politischen Kino, das von keinen Revolutionen mehr handelt und keine Utopie mehr kennt, ein "Kino des Unerträglichen"3 beschrieben. In diesem Kino, in dem das Volk fehlt, geht es darum, das Private unvermittelt ins Politische übergehen zu lassen. Mittels der Kunst des Fabulierens, einer performativen Rede, die sich auf kein bereits vorab bestehendes Ideal beruft, sowohl den Mythos als auch eine persönliche Fiktion zu umgehen weiß. "Nicht der Mythos eines vergangenen Volkes, sondern das Fabulieren eines künftigen": In den filmischen Sprechakten, die Deleuze am postkolonialen Kino von Glauber Rocha oder Jean Rouch exemplifiziert, offenbart sich ein "gegenwärtiges Erleben", das nicht zielgerichtet ist, nicht ideologisch vereinnahmt werden kann, sondern vielmehr die Unerträglichkeit ausdrückt, "zu diesem Zeitpunkt in ‚dieser' Gesellschaft zu leben." Einmal kollektive Aussage geworden (und der Film ist an diesem Prozess beteiligt), vermag dieses Kino den Zustand in der Erfindung eines neuen Volkes produktiv umzukehren. "Ein Fremd-Sein im eigenen Land" nennt Holzhausen diesen Zustand einmal, und Dorothea berichtet davon, wie sie in der U-Bahn jeden schief anschaut, weil sie in ihm einen FPÖ-Wähler vermutet. "Der Sprechakt muss als fremde Sprache in einer herrschenden Sprache [langue] entstehen, um gerade die Unmöglichkeit auszudrücken, unter dieser Herrschaft zu leben": Die Interviewpartner (und auch Holzhausen selbst) empfinden sich als Minorität. Es gilt nun den Diskurs zu (er)finden, der in einen kollektiven Sprechakt führt. Im medialen Mainstream dominiert eine ganz andere Sprache. Der Mythos der Opfernation führt in der Behandlung des Abbruchs der bilateralen Beziehungen der EU-14 ein paradoxes Weiterleben. Fiebrig wird ein österreichischer Konsens gesucht, der seinen medialen Höhepunkt bisher im "Österreich-Gespräch", in der (phänomenal gescheiterten) Inszenierung einer nationalen Eintracht fand. Schon die ORF-Berichterstattung über die Demonstrationen spricht Bände: "Mediawatch" von Antifax bringt Ausschnitte aus der Mittags-ZIB am Tag der Angelobung der Regierung, auf zwei Heimvideorecordern notdürftig zusammen montiert. "Die Lage droht zu eskalieren", stottert Reporter Josef Dollinger hektisch in die Kamera, "Polizisten werden mit Eiern bombardiert. (sic!)" Weit hinter sieht man die Masse der Demonstranten am Ballhausplatz: Ein Bild, so allgemein, dass es jede Information zu bestätigen vermag. Die Demonstranten seien zum Großteil von kommunistischen und studentischen Verbänden organisiert, so Dollinger weiter und: Es sehe nicht so aus, als werde sich die Demonstration bald auflösen. Später heißt es dann, die Bilder des ORF hätten dazu beigetragen, dass die Demonstration weiter angewachsen ist. Eine kühne Behauptung angesichts eine Berichterstattung, die mit jedem Einstieg den Moderator gleichsam als Puffer installiert, um die Intensität, die sich bei solchen öffentlichen Manifestationen zu sammeln vermag, zu zerstreuen. Allein die Rhetorik dirigiert in diesen Beiträgen den Blick des Zuschauers. Der Vergleich macht sicher: "Widerstand" nennt sich das von Nils Olger und ACC zusammengestellte Material schlicht, und im Unterschied zum ORF filmt er wie ein regelrechtes "Frontschwein". Er zeigt den Tag der Angelobung aus der Perspektive von unten, mit wackliger Videokamera, ohne Off-Kommentar. Bei ihm sieht man die fliegenden Eier, die zermatschten Tomaten; die zuweilen recht groben Auseinandersetzungen mit der Polizei; die Omnipräsenz der Kameramänner, die sich mitten im Geschehen tummeln. Seiner Kamera merkt man die physische Präsenz des Filmemachers gleich mehrfach an: Einerseits vollziehen die Aufnahmen die Bewegungen der Menge mit, sind unruhig und werden oft durch Stöße erschüttert. Zum anderen ist es genau dieses Mit-Sein der Kamera, dass für die affektiven Verdichtungen in der Demonstrantenschar sensibilisiert. Das Anliegen, das sich an diesem Tag beherzt bis zornig ausdrückt, wird auf diese Weise (wieder) erfahrbar, wohl auch weil die repräsentative Mauer in diesen Videoaufnahmen durchbrochen wird. Das Dokumentarische ist hier nicht von einer politischen Haltung zu trennen oder besser: die politische Haltung wird nicht auf dem Feld einer streng kodierten Repräsentation verschleiert. "Widerstand" liefert sozusagen das Rohmaterial zu den Impressionen und Erzählungen von "Zero Crossing": Er zeigt, wie sich sich die Energie bei solchen Demonstrationen kontinuierlich auf- und abbaut. Gäbe es diese Bilder nicht, gäbe es nur die von der anderen Seite: "Herbst 95", produziert von einem Kollektiv an Filmemachern (Rainer Frimmel, Alexander Binder, Elke Groen, Michael Gartner und Rainer Obrist), und "Widerstand" vom ehemaligen Wochenschau-Kameramann Henric F. J. Brabec d'Ipra verhandeln FPÖ-Wahlveranstaltungen an prominenter Stelle. Das kuriose an dem Film von Brabec d'Ipra ist, dass er eigentlich Teil eines langjährigen Dokumentationsprojekts über den Stephansplatz ist. Der 75-Jährige Brabec d'Ipra will seine Aufnahmen als objektive Betrachtungen verstanden wissen: Sein Blick könnte jedoch kaum subjektiver sein. Er steht auf der Bühne neben Jörg Haider und schaut ihm auf die Finger. Unten, zu seinen Füßen, jubeln dessen Anhänger. Weiter hinten demonstrieren seine Gegner lautstark. Auch hier sind es wieder die Details, die man sonst kaum zu sehen bekommt, die den Film auszeichnen: Wenn etwa Haider am Ende seiner Rede ein Bad in der Menge nimmt, zwei mittelalterlichen Frauen "Jörg" aufs Dekolleté schreibt und ein Herz dazu malt, ist er nahe dabei. Die eitel pompöse Selbstinszenierung der FP verkommt hingegen ohne die passend repräsentative Totale zur Posse. Für die Regierungsvertreter bleibt in "Die Kunst der Stunde ist Widerstand" immer noch der Spott, das Lachen, das aus einer minoritären Position heraus auch kollektivbildend wirken kann. "Das ‚Lachen gegen Rechts' müsste rasch gehen, ‚klein' bleiben, wendig und reaktionsschnell sein.", schrieb Alexander Horwath und forderte: "Kein triumphales Lachen, sondern vielleicht ein paradoxer Tonfall, der nicht nur sein Ziel, sondern auch das ‚Publikum' wieder ernst nimmt: respektvolle Respektlosigkeit."4 Martin Reinhardt hat Haider-Plakate zu einem Cartoon montiert und spielt dazu die Titelmusik aus der Kinderserie Pinocchio: "Du träumst von Freiheit und von Ruhm, mein Freund, warum?", heißt es darin, während sich Haiders Nase zum berüchtigten Lügenkolben aufrichtet. Peter Zachs "Das Stinktier aus dem Bärental" nimmt selbigen Politiker und stets die gleiche Aussage in die Adobe-Premiere-Nachbearbeitung: "Egal in welcher Funktion, ich mach überall frischen Wind" Respektvoll? Wohl nicht, aber auf dem heurigen Dokumentarfilmfestival in Nyon trotzdem ein großer Lacherfolg. "0190" von Muki Pakesch zeigt Schüssel und Haider schließlich geeint, jedoch als Poseure für Telefonsex im Stile deutscher Privatfernsehsender. Nicht zufällig sind es so oft bereits vorhandene Bilder, ob Plakate, TV-Sendungen oder spezifische Formate wie Werbungen, die als Vorlage fungieren, deren repräsentativen Formen mutwillig umgeschrieben oder besetzt werden. Die disparate Natur von "Der Kunst der Stunde ist Widerstand" ist jedenfalls ihr eigentlicher Trumpf: Die Reihe bündelt mannigfaltige minoritäre Formen und Formate, ohne dass sie dadurch vereinheitlicht werden. Das Kollektiv der Produzenten, aber auch das in den Filmen thematisierte "Volk" bleibt heterogen und lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. Was sich hier ausdrückt, ist auch die Skepsis gegenüber den vorherrschenden medialen Repräsentationsformen und das Versprechen, es anders zu machen: Und nicht so, auch nicht dafür, schon gar nicht nicht von denen da.

1 Michel Foucault, Was ist Kritik?, Berlin 1992, S.11f
2 Marlene Streeruwitz, Die Antwort liegt im Gehen, In: der Standard, 20.03.2000
3 Gilles Deleuze, Das Zeit - Bild, Frankfurt a. M. 1991, S.282f.
4 Alexander Horwath, Dialektik des Lachens, In: Der Standard, 16.02.20000

Dominik Kamalzadeh ist Filmpublizist (u.a. Der Standard, Film & Kritik) und lebt in Wien. Der vorliegende Text ist die gekürzte Fassung eines längeren Textes gleichen Titels - nachzulesen in der nächsten Ausgabe von BLIMP (Herbst 2000). Mit freundlicher Genehmigung des Autors.