Peter
Sloterdijk
Andersgläubige
– Verschwender – Fälle - Einwohner
Versuch über das Leben der Künstler
Text für Sigmar Polke
I
Sie kommen von weit her, aus schwülen Felsendörfern und bösen
Marktflecken, wo die Feste verfallen sind und die Verwünschungen
regieren. Vor dreitausend Jahren hoben sie zuerst den Kopf, früher
als die übrigen. Sie spürten, daß etwas Neues in der Luft
lag: anders als alle ihre Vorfahren werden die Menschen in Städten
zusammenleben - die Dörfer werden nicht die ganze Zukunft für
sich haben. Die seelischen Räume dehnen sich aus, als wollten sie
für größere Welten Platz schaffen. Von den Hügeln
herab leuchten königliche und bürgerliche Blicke den erweiterten
Weltraum aus. Feldherren schauen so und Schamanen, die hinter den Horizont
sehen. Noch sind die Städte nicht erbaut, aber in den Augen der Menschen
geht schon die Geräumigkeit auf, die sich mit Städten füllen
wird.
Die Propheten
und Gründer wussten es zuerst - von den Städten aus gedacht
und gesehen wird die Welt erst das Ganze, Große, Größte
werden. In ihren Visionen erscheint ein Menschentypus, den in das neue
Größere heilend einzufügen alle Kräfte der Zukunft
fordern wird. Die Flut der Besessenheit wird eingedämmt; die Bosheiten
und Verzückungen des alten Landes erreichen die alten Höchstmarken
nicht mehr.
Ein inneres
Festland tritt dauerhaft hervor, auf dem Gedanken sich festsetzen wie
erste Siedlungen an Flussübergängen. Dort können Städte,
Erkenntnisse und Unternehmen wachsen. Bei den Tempeln sammelt sich ein
spöttischer, unternehmender Menschenschlag, um Götter der Besonnenheit
in ihnen zu verehren.
Das Göttliche
selbst scheint klug werden zu wollen; ganz Auge, Licht, Mitwissen thronen
die ewigen Weltzeugen im Rausch des Wachseins auf der Anhöhe. Die
Atmosphäre der Polis ist durchtränkt von der dauernden Anwesenheit
einer Klugheit, die sich unter Bürgern wohlfühlt. Stadtmensch
ist, wer von der Nachbarschaft solcher Gottheiten durchdrungen werden
kann. Von der Akropolis strahlt eine Wachheit über die Stadt wie
ein schöner Alarm, der die Geister der Bürger unter demselben
Himmel zusammenruft. Die täglichen Geschäfte sind ein Wettbewerb
der Helligkeiten, die Reden und Gespräche eine ständige Prüfung
dessen, was der gemeinsamen Erörterung standhält. In diesem
scharfen Medium zerfällt das kindliche, ländliche, berauschte
Glauben. Wenn die Götter selbst sich auf so neue und durchdringende
Weise dem Wachen und dem Wissen verschrieben haben, wie sollten ihre Nacheiferer
unter Menschen ihnen nicht folgen?
An eine andere
Gottheit anders glauben: mit dieser Aufgabe, die sich in den hellsten
Individuen der Stadt selbst erkennt, beginnt die Geschichte einer Klugheit,
deren Ausstrahlungen bis in die heutigen Künste wirken. Im Lauf einer
zweitausendjährigen Metamorphose ist das Abenteuer der Andersgläubigkeit
von den Priestern auf die Philosophen übergegangen, und von diesen
auf die Künstler - die letzten Erben der städtischen Frage nach
dem Mächtigen, Wirkungsvollen, Wahren, Guten. Die Philosophie entstand,
als die griechischen Zauberer, Iatromanten oder Hellseherärzte der
Trance- und Zauberzeiten sich in Städten niederließen und es
lernten, sich den Regeln urbaner Mittelbarkeiten zu unterwerfen. Was ist
jetzt Weisheit, was ist gutes Leben? Im Blick auf die Schrecken der Welt
die Bedingungen des Glücks erfragen zu können - an dieser Aufgabe
findet der griechische Geist sein Richtmaß.
Als Sokrates
vor seinen Richtern erscheint, steht in seiner Person die Andersgläubigkeit
zur Diskussion. In einem einzelnen Mann feiert eine Sehweise ihren Auftritt
auf der Bühne der Ideen. Was vor Gericht gebracht wird, ist nicht
so sehr der Tatbestand der Gottlosigkeit, den die biederen Ankläger
zu formulieren vermochten; was unter Anklage steht, ist die innere Beweglichkeit
eines anderen Glaubens, in dem die Altgläubigen die Ungläubigkeit
wittern. Für sie, die Soliden, Nichtverführbaren ist unverständlich,
was Sokrates in seinen verführerischen Erkundigungen betreibt; sie
sehen ihn, das grübelnde Monstrum, Begründungen für das
Heilige, Verborgene, Tragende suchen. Ist solches Denken nicht selbst
schon ein Verbrechen? Wer, wenn nicht ein Verbrecher aus Innerlichkeit,
würde es wagen, Gründ für die Gründe der Welt zu fordern?
Wie unheimlich ist es doch, daß dieser Mann zwar keinen letzten
Grund ausspricht, aber sich wie ein Kollege der Dämonen in der Gegend
der letzten Ursachen bewegt. Tut er nicht damit so, als seien diese auf
unsere Reden angewiesen? Das diese bewegliche und abgründige Gläubigkeit
das Prinzip der städtischen Klugheit selbst verkörpert - dies
verstanden zu haben, macht allein die Überlegenheit des Sokrates
über seine Richter aus. Er kann den exemplarischen Bürger seiner
Stadt darstellen und zugleich der monströse Einwohner einer Gegenwelt
bleiben. Darum bringt er, am Ende seiner Verteidigungsrede, die Worte
vor, die die Geschichte der Andersgläubigkeit förmlich eröffnen.
Er, Sokrates, glaube nicht an die Götter? "Ihr Athener, ich
glaube an sie wie keiner von meinen Anklägern, und ich lege es euch
und dem Gotte anheim, so über mich zu urteilen, wie es für mich
und euch am besten ist." So fängt die fromme Unfrömmigkeit
mit ihrer Selbsterklärung an: glauben wie kein anderer. In diesem
Plädoyer manifestiert sich Dissidenz als Element, in dem die städtische
Art, klug zu sein, bei sich ist. Das ist die Urszene der Modernität.
Mit der Gewalt zum ersten Mal erklärt eine Intelligenz von sich,
daß sie ihr Leben auf die offene Weite des Versuchens wettet; ja
sie versichert ihren Hörern, daß diese auch ihnen offenstünde,
wenn sie nur mit Bewusstsein wären, was sie sind - Städter,
sprachehabende Wesen, vernunftbegabte Sterbliche, Versuchende eines anderen
Lebens - eines nachnatürlichen Lebens, metakosmischen Daseins im
akropolitischen Licht. "Ich glaube wie keiner von meinen Anklägern"
- der Satz markiert den kritischen Moment in der Weltrevolution der Seele.
Der Glaube - das helle Vorwärtsgehen ins Verborgene - hört auf,
sich auf die Unterwerfung zu gründen; es bindet sich an die helle
Unruhe und das logische Licht der Seele, die zu denken nicht aufhört.
Was aber ist diese Anderes als das Innere des Lebens, das im Weltalarm
der Stadt erwacht ist? Der Philosoph freilich, der Ex-Schamane, der noch
von älteren Einweihungen gezeichnet bleibt, setzt mit der Andersgläubigkeit
zugleich ein Anderszaubern in die Welt. Nun soll die Seele nicht mehr
an die Mutterböden gebunden und unter Missionen gebeugt werden. Entbindung
ist das Grundwort des Anderszaubers, Aufheiterung sein Programm. Es ist
sein treibendes Motiv, die Zahl der Zugänge zum Glück und der
Ausgänge aus dem falschen Leben zu erforschen. In der Stadt beginnt
der Abschied von den Höhlen aller Art, von ihrem Elend, ihrer Benommenheit.
II
Weil die Stadt der Ort der Entscheidung über ungleiche Schicksalslose
ist, kann hier die Frage nach dem Unterschied der Glücklichen und
der Unglücklichen zuerst laut werden. Was sind die Menschen ihrem
Wesen nach? Sind sie arme oder reiche Subjekte? Lastträger oder Lieblinge
der Götter? Die Menschen offenbaren sich jetzt selbst in ihren Antworten,
die sie sich auf diese Fragen geben. Sein ist Antworten, Antworten ist
Sein. Unter dem Standrecht der Antworten scheiden sich die Geister und
Schicksale. Eine unreduzierbare Verschiedenheit trennt die Sterblichen
auf engstem Raum voneinander. Seit die menschlichen Tatsachen in keine
einheitliche Aussage mehr passen, kann der tragische Chor bei Sophokles
erklären, daß es viel Ungeheures gebe in der Welt, nichts aber,
das ungeheurer wäre als der Mensch. Für das gewöhnliche
Bürgerwissen ist der Mensch ein armes Wesen, das aus übermächtigen
Mängeln zum Reichtum strebt - der Mensch gilt ihnen als Tier, dem
immer etwas fehlt. So reden festgestellte Wesen von sich selbst - und
die vom Mangel überwältigten Bürger folgen ihnen darin
bis heute. Wie großzügig denken dagegen die Anderszaubernden,
die den Menschen nicht erklären, sondern überraschen wollen.
Für sie ist der Mensch das überreiche Tier, das in die Welt
kommt, um sich zu belasten. Die Gattung gibt ihr Bestes im Typus des göttlichen
Dulders, dessen Seele durch die Extreme geht. Wenn Menschen es schwer
haben, dann nicht, weil ihnen eine Misere zuvorgekommen ist, sondern weil
sie sich bereiterklärten, beim Mangel in die Schule zu gehen. Den
Göttern näher als den Tieren, lassen die Reichen, Ungeheuren,
Vielgewanderten es darauf ankommen, ins Handgemenge mit den Stoffen und
Leiden zu geraten. Ihr Leben ist monströs durch Fülle und Gelingen.
In der Höhe zu Hause, finden sie weitere Erhöhung lächerlich;
Aufgaben und Felder für Taten liegen für sie immer unten. Als
Bürger der wirklichen Stadt sind sie mehr noch Einwohner eines unerschöpflichen
inneren Raums, der nichts ist als das Spielfeld möglicher Bewegungen
der Klugheit. Wenn sie, die in Künstler verwandelten Stadtzauberer,
nach vorne treten, um sich mit einem Werk, einem Wort, einem Trick sehen
zu lassen, setzen sie das Woher ihrer Geste immer mit aufs Spiel. Sie
veröffentlichen ihre Unfassbarkeit, indem sie Zeichen in Umlauf bringen,
die aus der Gegend der Gründe kommen. Wenn es mehr Wachheit gibt
als Stoffe, sie auszufüllen, dann hat die Stunde der Ironie geschlagen.
Sie ist ein wilder Vorbehalt gegen die Zumutung, an positive Diktate zu
glauben. Mit ihrem Schweben revidiert sie die Gewichte aller Dinge. Gegen
ihre Weite kommt kein Objekt mehr auf, und wenn es ein pompöses totales
Weltbild wäre. Dem Anderszauberer schwebt nichts vor, er selber schwebt
vor allen Gebilden. Werke, Taten, Bilder, Welten - was ist das jetzt anderes
als Material, das für Durchzüge durch die Weite taugt? Die Künstler
des anderen Glaubens bringen Gebilde an den Tag, denen anzusehen ist,
daß hier keine knieenden Gemüter am Werk sind. Jedem Werk wird
etwas mitgegeben von der Geräumigkeit, die sich zu ihm zusammengezogen
hat. Sie geben immer zu verstehen, daß für ihre Urheber das
Kleinwerden gegenüber der Größe das tiefere Problem ist.
Das Schwebewesen, das aus seiner Formlosigkeit auf die Welt zutreibt,
hat ja kein anderes Mittel, sich zu verraten, als seine immer neue Entäußerung
in die Gebilde. Bei seinen Durchgängen durch das Alphabet der Formen
bezeugt es die Verwandlungskraft, in der es sein Leben immer wiederfindet.
Daher ist die Nachhaltigkeit etwas, das der großen Kunst nie fehlt.
Indem die Anderszaubernden sich unaufhörlich wandeln, atmen sie den
Raum aus , aus dem ihnen alles kommt. Seine Weite ist ihnen geläufiger
als ihr manifestes Werk. Sie könnten alles was sie geschaffen haben
, vergessen, nur nicht die Sphäre, aus der das Schaffen kommt und
weitergeht. Sie sind die Sponsoren der sichtbaren Welt, indem sie den
Bestand der sichtbaren Welt vermehren. Unter den Unzähligen, die
sich fürs arme Leben entschieden haben, bleiben sie die letzten ,
die einzigen Reichen. Was sie verschleudern, ist die Erfahrung, daß
jede formsetzende Geste, die etwas taugt, einem Überschuss entstammt.
Sie bezeugen eine Kraft vor den Themen, eine Unruhe vor der bestimmten
Linie, eine Helligkeit vor der Farbe. Wären sie Philosophen, dann
ginge es ihnen darum, die Weltweite vor der Welt zu bekunden. Reichtum
ist das Vermögen, Optionen für Besonderes zu treffen. Reich
ist die Laune, die an Höhe nicht verliert, wenn sie sich dem Trivialen
hingibt. Ohne Stolz, ohne These, bestätigt sie ihre Freiheit, die
Niederungen zu durchqueren wie der Teufel die heiligen Hallen.
III
Wieso ist die Welt alles, was der Fall ist? Wir wissen über die Bewegung,
die wir sind, am wenigsten. Hat eine Tradition uns darüber aufgeklärt,
daß der Fall das ist, was die Welt uns erleiden läßt?
Fall ist die weltdurchquerende Bewegung, der sich das wache Menschenleben
schlechthin unterzieht. Wer fällt, erleidet die absolute Passion,
der gegenüber es keine Überlegenheit gibt - außer der,
sich fallen zu lassen. Die Welt ist der Behälter aller Fälle.
Sie zieht, wie ein dunkler Attraktor, die neu zur Welt kommenden Wesen
in die Schwere, wo sie Erfahrungen mit Widerständen machen. Wer fällt,
schlägt auf, um Schmerz und Auflehnung zu erfahren. Darum muss jedem
Fall ein Kompromiss zwischen Wut und Geduld entsprechen. Wut hilft dem
hineingeratenen Ich, sich nicht aufzugeben unter den toten Dingen; Geduld
hingegen schützt die Welt in uns vor der Rache des Nichts, mit der
wir die Daseinskränkung ungeschehen machen wollen. Wer mit seiner
Leidensfähigkeit das Rasen in Schach zu halten lernt, kann zum geduldigen
Arbeiter werden. Arbeit schafft Gewaltenteilung in der Verzweiflung. Zugleich
ist die Geduld, die der Wut entgegenwirkt, eine Fortsetzung der präexistenziellen
Souveränität mit anderen Mitteln. Sie bringt eine Spur von der
alten schwebenden Weite ins gestürzte Leben. Über Jahrzehnte
hin dichte Tage aneinanderhängen, um eine Arbeitskraft auf ihren
Bahnen zu halten - gibt es eine andere Definition für das Leben der
Künstler? Kunst als das Werk der Andersarbeitenden ist immer auch
die Arbeit am Fall. Weil Fallen nicht gekonnt werden kann, kommt beiden
Künstlern, die ihren Fall manifestieren, die Roheit der Welt und
die Voraussetzungslosigkeit unseres Einbrechens in sie so grell zur Erscheinung.
Alles, was in den Werken der Kunst roh und leuchtend und unbedingt gegenwärtig
ist, hebt die Materialität der Welt, wie sie im freien Fall erscheint,
ins Thema. Vor dem Stürzen sind alle Einzelheiten gleich. Ihr Eintreten
ins Sichtfeld bringt immer dieselbe Zumutung hervor - das ein Wirkliches
da ist, das die geballte Faust gegen das Auge hebt und ihm zu spüren
gibt, das Anwesendes, wie es auch sei, seine Macht behauptet. Nur in dieser
Sicht können Vorformen wie volle Bilder auftreten, Funde als Werke,
Werke als Rohstoffe, Zufälle als Täter, Taten als Driften, Prozesse
als Gesten. In allem wirkt dieselbe faktische Körnung der Welt. Immer
bringt das Grenze-Sein die sichtbaren Dinge zum Halten. In diesem Halt
ist die ganze Roheit der Welt gegeben - ein Grund, warum die moderne Kunst
dem Ernstfall des Seins näher kommt als irgendeine seit den magischen
Höhlenbildern. Der Maler, der seinen Fall zum Thema von Werken und
Serien macht, der muß im Lauf der Zeit die Gleichheit der Dinge
vor dem rohen Blick bemerken. Für jemanden, der aus dem Fenster fällt,
machen die Fassade, an der er entlangstürzt, und die Szenen des Lebens
hinter den Fenstern, die sein Blick im Fallen streift, keinen Unterschied.
Er ist tief in den nackten Umstand hineingeraten, daß es für
ihn keinen Sinn macht, hinter einer Erscheinung Tieferes zu vermuten.
Was ist jetzt das Erste, was das Zweite? Das Erscheinen ist die Tiefe
selbst. Die in den freien Fall gesetzte Kunst wird von der Gleichtiefe
der erscheinenden Dinge durchdrungen. Was aber wie eine Anleitung zur
Gleichgültigkeit gegen alles aussieht, ist eine Einübung in
die Erfahrungskraft, die ins Extreme geht, um sich der Vielfalt der Weltanblicke
und ihrer Steigerung in den Werken auszusetzen.
IV
Bei Thomas von Aquin heißt es, die Engel seien nicht wie körperhafte
Wesen im Raum, sondern sie erzeugten aus sich den Raum, den sie mit ihrem
Wesen ausleuchten und beleben. In unserem Jahrhundert schrieb Merleau-Ponty
den Satz nieder, von dem alle Reden über das sinnliche In-der-Welt-Sein
der Menschen auszugehen haben: „ Der (menschliche) Körper ist
nicht im Raum, er wohnt ihm ein" ( Le corps n'est pas dans l'espace,
il l'habite). Die großen Künstler sind es, die heute wie früher
die Wahrheit dieser Sätze offenhalten. Als Tiefenbewohner der Welt
erinnern sie an die Frage, wie das Welthaus überhaupt zu bewohnen
sei. Wenn wir in der Welt sind, sind wir dann wie in den eigenen vier
Wänden bei uns eingerichtet? Ist uns dann alles, was der Fall ist,
in hausartiger Weise gegeben? - beziehbar wie ein schlüsselfertiges
Sein, in dem wir uns nur niederzulassen brauchen und unsere Raten zahlen?
Wer Künstler ist, wird solche Fragen immer verneinen. Ihm ist die
Verlegenheit, in einem Nicht-Haus zu wohnen, seit jeher gegenwärtig.
Künstler sind die Ökologen des Unheimlichen, die Hauszweifler,
die Anderswohnenden. Ihr Wohnen unter den Dingen bedeutet Mitarbeit mit
den aufscheinenden Formen - mögen diese aus der Natur, der Kultur
oder aus dem Kosmos der wissenschaftlichen Zeichen und Modelle stammen.
Das Haus der Anderswohnenden ist voller fremder Gäste - es ist ein
Punkt im Weltgitter, eine magische Zahl, ein Aussichtspunkt auf rohe Farben.
Der Hausherr selbst bewegt sich in seinem Reich wie im Labor eines verrückten
Erfinders. Sind die Gäste bereit, an der reichen Konversation teilzunehmen,
die unter seinen Gebilden herrscht, so dürfen sie sich in Werken
niederlassen. Was ihnen der Künstler in seiner Werkstatt bietet,
ist nicht weniger als die Aufnahme in ein Paradies, in dem das älteste
Glücksfluidum bis heute fließt: Aufmerksamkeit.
Erschienen
in: Ausstellungskatalog Sigmar Polke. Stedelijk Museum. Amsterdam 1992
© Peter Sloterdijk
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