Barbara Frischmuth Denken Sie
bitte nach, meine Damen!
Es scheint ganz natürlich, um nicht zu sagen typisch, daß man während eines Jahres der Frau bemüht ist, jene Exemplare der Gattung vorzuführen, von denen man ohnehin schon gehört hat, die in der bildenden Kunst oder in der Literatur schon ihren Mann gestanden haben, wie der bezeichnende Ausdruck heißt, von denen nicht anzunehmen ist, daß sie noch Emanzipationsprobleme haben, die in den meisten Fällen nicht einmal darüber klagen können, daß sie weniger gut bezahlt wären als Ihre männlichen Kollegen. (...) Während heute noch Psychoanalytiker sich damit befassen, die Auswirkungen des prästabilierten Penisneides auf die Psyche der Frau zu untersuchen, neige ich eher zu der These, dass diese ganze Chimäre die Rückkopplung eines Neides auf die doppelte Fähigkeit zur Kreativität der Frau ist, Kunstwerke verschiedenster Art zur Welt zu bringen, auf eine so sinnliche Art, dass Männer manchmal blaß dabei werden. Gerade diese Fähigkeit, Kunstwerke wie Kinder zu gebären und Kinder wie Kunstwerke auszubilden, schließt die Behinderung mit ein, von der ich schon sprach. Da beides auf ähnliche Weise spannend und befriedigend ist, möchte man nicht auf das eine zugunsten des anderen verzichten, wenn man von Natur aus für beides geeignet scheint. Selbst wenn man die Initiationsriten des sprachraumbeherrschenden Kulturbetriebs überstanden hat, ohne persönlichen Schaden zu nehmen, sieht das Muster eines kreativen Tages, durchbrochen von der Verabreichung der Alete-Juniorkost und dem Austausch von Mölnys Papierwindeln, anders aus als das Muster eines kreativen Tages, der irgendwann ins nervenaufrüttelnde Nachtleben dieser Stadt mündet, das heißt in einen Kaffeehausbesuch. Ich möchte hier nicht darüber diskutieren, was einen mehr aus dem Gleichgewicht bringt, ich will nur sagen, daß es anders ist, sich im Bereich der Kunst und in dem des Mutterseins zu verwirklichen, als nur in einem der beiden. So aber stelle ich mir, zumindest in ihren Anfängen, die Aufhebung der Selbstentfremdung vor, ein Begriff, den auch Marxisten oft und leichtfertig vergessen. Aber auch dann, wenn man sich ein für allemal für einen dieser Bereiche entschieden hat, wird das Leben nicht einfacher. Hat man sich für Mann, Haushalt und Kinder entschieden, bleibt ein Stachel, oft Anlaß zu späteren Verbitterung, nämlich der, man hätte eine ganz andere werden können, hätte man seinerzeit nicht aufgegeben. Im anderen Fall hören die Irritationen nie auf, die immer wiederkehrende Versuchung, es doch noch zu wagen. Die emotionellen Belastungen, denen eine Frau ausgesetzt ist, die sich nur für den Beruf oder die Berufung entschieden hat, machen ihre Leistung bei Gott anerkennenswerter als die eines männlichen Kollegen, denn es ist noch immer etwas ganz anderes, ob ein Mann sich für Kinder entscheidet oder eine Frau. Daß es Ausnahmen gibt, versteht sich natürlich von selbst. Das andere, zweifache und frauengemäße Leben, das eine echte Möglichkeit zur Selbstverwirklichung bietet, wird einem mit aller männlichen Redlichkeit schwer gemacht. Und anstatt daß wir ihm immer näherkommen, diesem mit all seinen Schwierigkeiten wünschenwerten Leben, rückt es in immer größere Ferne, woran nicht zuletzt der Staat, in dem wir leben, und sein Gesetzgeber schuld sind. (...) Die Ungerechtigkeit bezüglich der Situation der Frau liegt nicht darin, daß sie von den Männern unterdrückt wird - es gibt genug Fälle, wo es umgekehrt ist -, sondern dass ihnen Nicht-Frauen, ob Gesetzgeber, Politiker oder Intellektuelle, aufgrund der Autorität, die sie nach Abgabe der Verantwortung immer noch haben meinen, vorschreiben und einreden wollen, was gut für sie ist. Und was hat man uns in den letzten zig Jahren alles, und sogar mit Erfolg, eingeredet. Da war einmal, und wie es scheint vor allem, die sexuelle Befreiung der Frau, so wie ich es sage, die sexuelle Befreiung, nicht die Befreiung der Sexualität der Frau. Zuerst durfte sie Bein und dann Po zeigen, Größe und Form des Busens, hatte sie allerdings nach den saisonbedingten Vorgaben der Bekleidungsindustrie auszurichten. Ihren Körper für Geld zur Verfügung zu stellen, war schon davor und lange vorher ein Privileg der Frau, aber keine Puffmutter und kein Zuhälter hat auch nur gerochen an großen Geschäft, das die Werbung mit der Königsidee vom weiblichen Fleisch gemacht hat und noch immer macht. Und wenn der Körper der Frau in der guten alten Zeit der Hurerei zumindest in irgendeiner Form der Vergnügen diente, selbst wenn nicht alle es hatten, so dient dieser selbe Körper in tausendfacher Auflage, bis aufs Schamhärchen deutlich, einer ganz anderen Sache. Und wenn dabei Lust stimuliert werden soll, dann die, etwas anderes als das Dargestellte zu kaufen. Es fängt an, mich nervös zu machen, wenn Männer, die etwas zu reden haben, allzuoft das Wort Emanzipation oder gar Emanzipationshilfe im Munde führen. Da sie fast immer auch selbst Partei sind, schiene es mir richtiger, sie würden von einer Abgabe der Verantwortung für die Zukunft, wie die Kinder euphemistisch genannt werden sprechen und davon, daß sie die Frauen ein für allemal als den belastbareren Teil der Menschheit erkannt haben. Daß man uns zur Pille sozusagen als Zuckerpille die Fristenlösung beschert hat, ist in Ordnung. Daß wir uns nicht mehr aushalten lassen müssen, sondern uns selbst erhalten dürfen, was heißt dürfen, ebenfalls müssen, ist ebenfalls in Ordnung, daß der Mann nicht mehr das Oberhaupt der Familie sein soll, rührt mich beinah zu Tränen, wo die Ehe doch nach Aufhebung jeder Schutzfunktion ohnehin nur mehr ein rein privates, wenn auch reichlich aufwendiges Arrangement ist (rechnet man Trauungs- und Scheidungskosten mit ein), daß wir aber, wie ich höre, nachdem dieselbe aufgelöst wird, für uns und unsere halben Kinder aufzukommen haben, was heißt, daß wir für ihre halben materiellen Bedürfnisse aufkommen müssen, zusätzlich zu dem, daß wir sie wickeln, baden, beaufsichtigen oder in den Kindergarten bringen, damit wir unserer Berufsverpflichtung nachkommen können, halte ich für den größten Angriff auf alles, was ich unter Emanzipation verstehe. Wie soll eine ledige oder eine geschiedene Frau, bei den verheirateten kommt das alles nicht so deutlich zum Ausdruck, die einem Erwerb nachgehen muß, einen Haushalt und Kinder zu versorgen hat und dabei so wenig unterstützt wird, auch nur einen Gedanken fassen, der sich mit ihr selbst und ihrem Platz in der Gesellschaft, geschweige denn mit irgendwelchen kulturellen Ideen auseinandersetzt. Wenn sie nicht wirklich eine wesentlich belastbarere Natur als jeder Mann hat, wird sie dazu zu müde sein und resigniert den Dingen ihren Lauf lassen. (...) Man hat uns mit ebensoviel Erfolg eingeredet, daß Emanzipation vor allem mit Arbeit zu tun hätte. Daß Frauen einen Beruf haben müßten, was in den meisten Fällen soviel wie arbeiten gehen heißt, um mitreden zu können. Das klingt an sich vernünftig. Aufhebung der finanziellen Abhängigkeit vom Mann - und schließlich ist nicht einzusehen, warum ein gesundet Mensch nicht für sich selbst sorgen sollte. Was mich daran stört, ist, daß das klingt, als hätten die Frauen bis dahin auf der faulen Haut gelegen. Nicht zu arbeiten war immer nur das Privileg weniger Bestsituierter. Um nicht ganz die Unwahrheit zu sagen, hat man jene Arbeiten, die Frauen üblicherweise leisteten und auch noch Ieisten, mit einem „nur" vergehen, was dann wie „nur" Haushalt, „nur" Kinder usw. klingt. Daß die Frauen es satt haben, sich nur mit dem Haushalt und nur mit da Kindern zu beschäftigen, glaube ich auch jenen Emanzipationskämpferinnen aufs Wort, die weder Haushalt noch Kinder haben. Aber gerade dieses „nur" hat dazu geführt, daß man heute der Ansicht ist, den Frauen alle jene „Nur'-tätigkeiten zusätzlich zum Beruf machen können. Ich meine, daß alle Frauen, die sich auf solche „Nur"-Tätigkeiten wie Haushalt und Kinder eingelassen haben, sich standhaft dagegen wehren sollten, einem Broterwerb nachgehen zu müssen, es sei denn, sie schöpften aus diesem Beruf so viel Befriedigung, daß sie ihn und er sie nicht entbehren kann. Dann aber sollten sie um die größtmögliche Unterstützung beim Partner und bei der Gesellschaft kämpfen, um dieses ihr dreigeteiltes Leben verwirklichen zu können. Ich halte wirklich zu grotesk, wenn Frauen mit kleinen Kindern, die nur in Kinderkrippen unterzubringen sind, arbeiten gehen müssen, weil sie sonst mitsamt ihren Kindern in soziale Not geraten. Ein Mann oder ein Staat, der es sich nicht leisten kann, Frauen und Kindern in einer solchen Situation absoluten Schutz zu gewähren, wird es sich leisten müssen, für die dadurch entstehenden Schäden, die man heute, wie ich glaube, einigermaßen absehen kann (man frage bei der Fürsorge und bei der Bewährungshilfe nach), aufkommen zu müssen. Ich meine, man weiß heute schon, wie wichtig eine echte Bezugsperson gerade für kleine Kinder ist. Es steht außer Zweifel, daß eine solche echte Bezugsperson auch ein Mann sein kann. Nur dürfen wir nicht vergessen, daß wir in einer von Männern geprägten Gesellschaft leben, in der es für einen Mann noch viel schwieriger zu sein scheint, sich auf die diskreditierten „Nur"-Tätigkeiten einzulassen, zu ihren Gunsten womöglich auf eine vorgehabte Karriere zu verzichten. (...) Auch ich weiß nicht genau, wie unsere Emanzipation letztlich aussehen wird. Aber ich meine, daß wir uns viel ernsthafter Gedanken darüber machen sollten, was wir wollen. Denn nur so, indem wir endlich herausfinden, was wir tun möchten und wie wir gerne leben wollen, wenn wie die Möglichkeit dazu haben, können wir unsere Emanzipation überhaupt in Angriff nehmen. Alles andere ist Anpassung an das, was Männer für das Maß aller Dinge halten. (...) Wenn wir uns wirklich emanzipieren wollen, müssen wir ein neues Modell finden. Das Modell einer Welt, die unseren Bedürfnissen eher entspricht als die, in der wir leben. Die Erstellung eines solchen Modells wird die Feuerprobe unserer Kreativität, unseres Verstandes und unseres „Mutterwitzes" sein, wobei wir nicht in den Fehler verfallen dürfen, uns diesen Vorgang als einmaligen Zeugungsakt vorzustellen, es steht uns viel eher eine lange Schwangerschaft mit einer daraus resultierenden schwierigen Geburt bevor. Und selbst dann, wenn es uns gelungen sein wird, ein solches Modell der Welt zur Welt zu bringen, ein Modell, das auch auf Männer eine solche Anziehungskraft ausüben muß, daß sie sich vorstellen können, in ihm zu leben, werden die Schwierigkeiten nicht aufhören. Aber es wird etwas sein, was wir in die Waagschale werfen können, wenn von einer Veränderung der Gesellschaft die Rede ist. Aus: Die Presse, 8/9. März 1975
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