Franzobel
BLACK JACK
mit Rudi Widerhofer als Jack Unterweger
und Lothar Lässer als Kärntner Volldepp
Musik: Lothar Lässer
Inszenierung: Ernst M. Binder
Ausstattung: Carlos Schiffmann
Dramaturgie: Alexandra Rollett
Licht: Geari Schreilechner
Uraufführung:
20. August 2003, 20:30, Festwochen Gmunden
Der schrille Monolog
des Bachmannpreisträgers und Meisters der skurrilen Phantasie Franzobel
folgt dem „Fürsorgefratz“, „Hurenbankerl“,
„Frauenliebling“ und Massenmörder auf den wichtigsten
Stationen seiner Biografie und zeigt den Menschen hinter dem Medien- und
Rechtsphänomen Unterweger, seine Schrullen, Sehnsüchte und Lebensanschauungen
in einem Kosmos voller Perversität und zwischenmenschlicher Kälte.
Eine Co-Produktion
des forum stadtpark theater / dramagraz
mit Festwochen Gmunden und dietheater, Wien
pressereaktionen 09
KLEINE ZEITUNG, 20.08.2003
Franzobels Annäherung
an Jack Unterweger
"War a's? Oder war a's net?" Eine Annäherung an den mutmaßlichen
Serienmörder.
KLEINE ZEITUNG: Was
erwartet den Zuseher bei der Uraufführung von "Black Jack"
in Gmunden?
FRANZOBEL: Ein zwölfteiliges Stationendrama über das Leben Jack
Unterwegers - von Dialogen seines Großvaters mit dessen Geliebter,
die er als Fünfjähriger gehört hatte, über seine Flucht
mit Freundin Bianca nach Miami bis zum Selbstmord im Gefängnis.
KLEINE ZEITUNG: Wie groß war Ihr Anspruch auf historische Wahrheit
im Stück?
FRANZOBEL: Sehr viel ist wahr. Ich habe alles gelesen, was von und über
Unterweger geschrieben wurde, Originalunterlagen aus seinem Nachlass und
Astrid Wagners Buch "Ein Mörder für alle Fälle",
in dem seine Geschichte juristisch aufgearbeitet ist. Ich habe Interviews
und Tondokumente durchgehört. Dann ist alles wie ein Schwall aus
mir heraus, dabei habe ich auch vieles literarisch weiterphantasiert.
KLEINE ZEITUNG: Was war der Reiz an der Figur Unterweger?
FRANZOBEL: Schon wie sein Fall 1992/93 in den Medien aufgetaucht ist,
habe ich mich für ihn interessiert. Dazu die bis heute offenen Fragen:
War Unterweger ein ewiges Opfer von Jugend an? Oder war er ein unglaublich
raffinierter Charakter? In "Black Jack" heißt es an einer
Stelle: "War a s, war a s net?" Sind Sie für sich beim
Schreiben der Antwort näher gekommen?
FRANZOBEL: Als Autor konnte ich da natürlich viel zu wenig recherchieren.
So lang kein anderer die Serienmorde zugibt, werden wir es nie wissen.
Es drängt sich aber nicht gerade auf, dass er elf Prostituierte umgebracht
haben soll, wenn er in den eineinhalb Jahren zwischen seiner Haftentlassung
1990 und der neuerlichen Festnahme an die 40 Geliebte gehabt hat.
KLEINE ZEITUNG: Am Volkstheater steht "Mozarts Vision" auf dem
Spielplan, am Burgtheater eine Schwab-Hommage? Drängt es Sie, beim
"work in progress" dabei zu sein?
FRANZOBEL: Ich besuche gern die ersten Leseproben, weil meine Texte ja
rhythmisch sehr diffizil sind. Auch die letzten Durchläufe zu sehen
ist spannend und befruchtend für das Schreiben. Aber die lange Mittelstrecke!
Als Autor kann man da nichts machen, kriegt nur mit, wenn Schauspieler
die Nerven wegschmeißen, technisch, organisatorisch, finanziell
etwas nicht klappt.
KLEINE ZEITUNG: Was macht Ihr Faible, der Sport?
FRANZOBEL: Ich schreibe für die Sonntagsausgabe der "Neuen Züricher
Zeitung" eine Sportkolumne. Das macht unglaublichen Spaß, Alltagsphilosophien
zu verfassen und damit Leute zu erreichen, die die Kultur sonst nie anschauen.
Aktiv war ich in diesem Wahnsinnssommer sehr oft schwimmen. Und ich spiele
regelmäßig Fußball mit einer Juxpartie. Von gestern habe
ich noch einen ordentlichen Muskelkater.
INTERVIEW:
MICHAEL TSCHIDA
FALTER, 35/03
Jack is back
Die Wiener Theatersaison beginnt mit einem furiosen Solo: In seinem Monolog
"Black Jack" bringt Franzobel das Leben des Schriftstellers
und Frauenmörders Jack Unterweger auf die Bühne.
Jach Unterweger war
ein Schriftsteller, der nicht schreiben konnte, ein Frauenmörder,
den die Frauen liebten, und ein Medienstar, der von den Medien gejagt
wurde. Kurz: Jack Unterweger (1950-1964) war eine interessante Persönlichkeit,
an der das Theater nicht vorbeikann...
... Franzobel, Österreichs produktivster Schriftsteller, hat im Auftrag
des Grazer forum stadtpark theaters den Monolog "Black Jack"
geschrieben.
Obwohl das Stück an Unterwegers Biografie entlanggeschrieben ist,
handelt es sich nicht um dokumentarisches Theater: Der Autor vermischt
Dichtung und Wahrheit (zum Beispiel ist Unterweger im Klagenfurter Bahnhofsrestaurant
in Wirklichkeit nicht Ingeborg Bachmann begegnet) und schafft auf diese
Weise eine Kunstfigur, die Unterweger dann doch wieder ziemlich nahe kommt.
"Der Jack Unterweger ist ein Mensch mit einer ungeheuren Unterkellerung",
meint Franzobel. "Das Stück will da hinunter wie ein Draht,
den man in die Kanalisation hängt, was raufziehen, sich an Dreck
und verlorenem Schmutz freuen."
...
War ers oder war ers nicht? "Für mich sind beide Versionen interessant",
antwortet Franzobel ausweichend. "Ich meine: Der Mann hat jede Woche
eine andere Frau gehabt – daneben noch elf weitere umzubringen wäre
schon sehr eigenartig. Und wenn ers nicht war, dann war er ein ziemliches
Opfer. Dann ist er medial hingerichtet worden. Auch Ernst M. Binder, der
Regisseur der Uraufführung, will in dieser Frage "absichtlich
keine Stellung beziehen".
Seine Inszenierung ist ausgesprochen schlicht gehalten. Auf der kleinen
Bühne steht eine Heurigenbank, dahinter ist eine Wäscheleine
gespannt. Auf der Bank sitzen der Musiker Lothar Lässer mit einem
Akkordeon und der Schauspieler Rudi Widerhofer, der als Jack Unterweger
eine atemberaubende Performance bietet.
In den 14 Szenen, die Binder als (gesprochene) "Songs" interpretiert,
zeigt Widerhofer stets mindestens zwei Gesichter: Der ganz junge Jack,
dieses "aus der Fut außagschissene Hurenbankert", ist
sowohl unschuldig als auch grausam; der lebenslänglich eingesperrte
Häftling Jack ist dermaßen selbstmitleidig, daß es schon
wieder aggressiv wirkt; der späte Unterweger ist schlau und naiv,
schüchtern und brutal zugleich. Am Ende des in kampakter CD-Länge
(knapp siebzig Minuten) gehaltenen Abends steht der Blues auf das "Reebok-Turnschuh-Schuhbandl",
an dem er sich erhängt hat. "Du, mein Schuhbandl vom Reebok-Turnschuh,
du Mörder, du Serienkiller du."
WOLFGANG
KRALICEK
DER STANDARD, 22.08.2003
Untergeher Unterweger
Gescheitert: Franzobels Jack-Unterweger-Stück "Black Jack"
wurde in Gmunden uraufgeführt
Gmunden – Der
Schauplatz der monologischen Dramen-Geburt war an sich gut gewählt.
Denn welches Ambiente könnte eine prickelndere Verpackung für
ein theatralisiertes, wüstes Männerleben im Sog des Weiblichen
abgeben als Arnulf Rainers von blutroten Farbschlieren umspielte Prachtkurven
der Kunstgeschichte?
Allein: Anlässlich der Uraufführung von Franzobels Frauenmörder-Gesang
Black Jack in der Edelgalerie 422 im Rahmen der Gmundner Festspiele wurde
schnell klar, dass das verfeinerte Spät-Raffinement des Malers rein
gar nichts mit den Zoten-Kaskaden aus dem Mund jenes Todesengels zu tun
hat, der sich vor Jahren durch Zellen-Suizid endgültig in den Spitzenrang
einer dämonischen Kultfigur katapultiert hat.
Der Vöcklabrucker Meister des enthemmten Wortschwalls ist der Versuchung
erlegen, die düster schillernde Aura eines Schwerstverbrechers aus
einem vulgärpsychologischem Ansatz aufschließen zu wollen.
Aus dem sozial verletzten Kind mit kreativen Anlagen musste jener bizarre
Grenzgänger zwischen Mädchenmetzgerei und Kulturschickeria werden,
jener einzigartige Charmebolzen, dem Serien von täuschungsbereiten
Frauen im wahrsten Sinn des Wortes erlegen sind.
Wer den wie eine exotische Kostbarkeit herumgereichten Unterweger gekannt
hat, die aus dem Kindergesicht sickernde, sanfte Weinerlichkeit des selbstinszenierten
Gesellschaftsopfers, wird kaum Parallelitäten zu Franzobels primitivem
Klischeegeschöpf feststellen.
Unterweger hatte sich als zerbrechlicher, effeminierter Gigolo stilisiert,
den der Außenstehende eher im schwulen Lager zu vermuten geneigt
war. Die Wirklichkeit war blutig anders. Nichts von dieser brisanten Widersprüchlichkeit
klingt in Franzobels schlichten, schäumenden Ergüssen an, die
weder von Regisseur Ernst M. Binder noch vom Darstellersolisten Rudi Widerhofer
interessant gebrochen werden.
Es bleibt bei einem nervenden, genitalischen Blues – garniert mit
älplerischer Folklore und Schlagertran aus der Ziehharmonika.
Franzobels Versuch, der wirklichen Finsternis auf die Spur zu kommen,
ist gescheitert. Killer-Seelenbilder der besonderen Art entstehen eher
im Kino, nicht auf der Bühne. Der Totmacher mit Götz George
hat es vorbildlich vorgemacht. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2003)
ANTON
GUGG
Mailantworten der STANDARD-Leser!
umstrittener mörder?
ich habs zwar nicht gesehen, wie ohnehin kein franzobel-stück, aber
eine der sehr wenigen franzobel-sachen, die ich gelesen habe ist "linz
eine obsession". auch dort geht es um einen frauenmörder und
das ist wie offenbar alles ein wortschwall, aber psychologisch schlecht.
psychologie ist alles andere als franzobels stärke. zu unterweger:
ich habe mich vor jahren einmal mit astrid wagner unterhalten, die juristin,
die sich damals für ihn einsetzte und mit der die öffentlichkeit
nichts besseres zu tun wusste, als ihre analytische begabung einem angeblichen
"dem mörder-verfallen-sein" unter zu ordnen. aus ihren
empirischen analysen ist sehr deutlich geworden, dass nie bewiesen wurde,
dass er der massenmörder gewesen ist. ein ihn ...
athene
2003 | 21.08.2003 23:24
ich habs gesehen
und ich fands beeindruckend. Was der Kritiker da schreibt ist boshafter
Unsinn. Wer Gelegenheit hat, soll hingehen, es ist ein packender Abend
- klischeehaft ist da überhaupt nichts. Der Schauspieler ist phantastisch.
Schade, dass es den Text nirgendwo gibt.
aphrodite göttlicher | 21.08.2003 20:32
"Austrian Psycho" als Pendant
zu Bret Easton Ellis´"American Psycho" wäre auch
recht treffend gewesen.
Nobody does it better | 21.08.2003 18:46
DIE PRESSE, 30.08.2003
Zu viel Jack, zu wenig
Franzobel
Der Bachmann Preisträger umkreiste aufopfernd und selbstvergessen
Jack Unterweger.
...
Rudi Widerhofer gibt diesem Jack soviel Theater-Farbe wie möglich.
Doch zeigt er eher einen unverbesserlichen Strizzi als einen unheimlichen
Menschen, der, zwischen Zynismus und Selbstmitleid, schwankend durchs
Leben turnt. Unterweger hatte was – etwas, das Widerhofer fehlt.
Vielleicht Absicht in der Inszenierung von Ernst M. Binder, die auf mildernde
Umstände zielt, nicht juristisch, aber menschlich. Jack als Opfer
der Verhältnisse, das hatten wir schon. Der Glaube an die Verbesserung
des Menschen ist etwas verblasst. Hat Franzobel zu viel recherchiert?
Die Aufführung ist jedenfalls immer dann am besten, wenn der Dichter
seine Trümpfe ausspielt. Beim "Black Jack" mit Jack hätte
Franzobel gewonnen, er wollte aber offenbar Jack gewinnen lassen.
BARBARA
PETSCH
OÖ-Nachrichten, 22.08.2003
In ein dreckiges Leben
gestoßen
Franzobels Unterweger-Stück "Black Jack" bei den Festwochen
Gmunden uraufgeführt
Wie ein gerade geschlüpftes
Küken, verunsichert, zitternd und verkrampft, sitzt diese nackte
Kreatur auf einem Nachttopf, - soeben ungeschützt in ein dreckiges
Leben gestoßen. Der Musiker stimmt mit der Zieharmonika eine Volksweise
an, die beiden singen vom Allein- und Verlassensein. Dieses nackte und
"geschissene Hurenbankert" beginnt von seinen Lebensstationen
zu erzählen, in einem Monolog mit fiktiven Gesprächspartern.
Der Musiker sitzt schweigend daneben, nickt manchmal, summt, ist Zuhörer
der Bühnenfigur Jack Unterweger. Der oö. Autor Franzobel hat
den Monolog "Black Jack" als Collage aus realen Unterweger-Texten
und eigenen Texteinschüben und Textweiterführungen verfasst.
Die Uraufführung war im Rahmen der Feswochen Gmunden am Mittwochabend
im beinahe unertäglich heißen Veranstaltungsraum der Galerie
422 in Gmunden.
Naturgemäß läuft dieser Monolog in nicht gerade feiner
Sprache ab, ist gespickt mit Fäkalausdrücken. Die Inhalte sind
nicht Alltag, zumindest nicht jener von so genannten Durchschnittsmenschen.
Wie denn auch? Denn hier erzählt einer aus der Gosse vom Prostituiertenmilieu,
vom Gefängnis, vom Vergewaltigen, Zuschlagen und Morden. Auch von
Sehnsüchten und Träumen. Bei der Erzählung jeder Lebensstation
zieht sich die vorerst nackte Kreatur ein Kleidungsstück mehr an,
- die Schutzhülle wird dicker, die Haut darunter aber bleibt dünn.
Schauspieler Rudi Widerhofer ist dieser schmächtige, kleine Mann,
der von der Statur her dem wirklichen Unterweger so ähnlich ist.
Er erzählt mit irrem und verwirrtem Blick von der Suche nach seiner
Mutter, mimt den sanften und einschmeichelnden Liebhaber und Frauenhelden
genauso wie den brutalen Zuhälter und Mörder, der aber nie von
Mord, sondern nur von der "Tat" spricht.
Ob Schizophrenie, ob Meister der Verdrängung, ob kluge Taktik, um
unschuldig zu wirken, ob ein zu Unrecht Verurteilter? "Black Jack"
gibt keine Antworten, kann es auch nicht. Denn Faktum ist: Jack Unterweger
wurde als Mörder verurteilt.
Nur selten ist eindeutig erkennbar, welche Texte von Unterweger, welche
von Franzobel sind, denn alle verschmelzen zu einem homogenen Ganzen ohne
hohen literarischen Anspruch, aber mit dem Anspruch nach Authentizität.
Regisseur Ernst M. Binder, spezialisiert auf österreichische Gegenwartsautorenschaft,
hat die Bühnenfigur Unterweger als manchmal Mitleid, dann wieder
Ekel erregende Charakterstudie gezeichnet. Und dabei die Melodik, den
Franzobel'schen Sprachrhythmus aufgenommen, dem Schauspieler deshalb auch
den Musiker Lothar Lässer an die Seite gesetzt.
Ein kurzes Stück über ein kurzes Leben, und vor allem deshalb
beklemmend, weil hier zwar Theater gespielt wird, die Realität dahinter
aber gegenwärtig ist.
SILVIA
NAGL
Neues Volksblatt, 22.08.03
Schlechte Karten für
„Black Jack“ Unterweger
Franzobels literarische Annäherung an den Serienmörder und „Häfenpoeten“
bei den Festwochen Gmunden
Jack Unterweger beschäftigte
fast ein Jahrzehnt hindurch die Gerichte und die Öffentlichkeit.
1974 wegen Mord zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, erschrieb er sich
in der Haftanstalt Stein mit seinen Romanen „Im Fegefeuer“
und „Endstation Zuchthaus“ medienwirksamen literarischen Ruhm.
1990 als Musterbeispiel einer gelungenen Resozialisierung auf Bewährung
entlassen, fiel nach einer Mordserie an elf Prostituierten der Verdacht
erneut auf Unterweger, der stets seine Unschuld beteuerte. In einem Fall
aufgrund einer Haar-analyse eindeutig überführt, wurde er 1994
wegen neunfachen Mordes schuldig gesprochen und erhängte sich daraufhin
in seiner Zelle. - Autor Franzobel verdichtete diese Stationen in einen
rund eineinviertel Stunden langen dichten Monolog, der am Mittwoch im
Rahmen der Gmundner Festwochen zur Uraufführung kam. Regisseur Ernst
Binder wählte als Ort dafür die Galerie 422, in die er die winzige,
schwarz ausgeschlagene Guckkastenbühne zwängte — Chiffre
auch für die beengten Chancen für das „Hurenkind“,
das fürs Leben schlechte Karten mitbekommen hatte. Protagonist Rudi
Widerhofer zeichnet differenziert eine „Karriere“ zwischen
dem lebenslang ungestillten Liebeshunger eines vernachlässigten Kindes,
das nie erwachsen wird, durchbrechender Aggressivität und dem kurzen
Glanz, in dem sich der „Häfenpoet“ sonnen durfte. Teibendes
Element ist die Musik, die Akkordeonist Lothar Lässer — auch
in der Rolle des stummen Ansprechpartners — beisteuert. Fazit: Der
Versuch einer Annäherung, denn die ganze Wahrheit hinter dem Phänomen
Jack Unterweger lässt sich wohl nie mehr aufklären.
BIRGIT
THEK
KRONENZEITUNG OÖ, 22.08.2003
15 Songs für einen
Mörder
So wie Gott ihn schuf,
kauert er auf einem Nachttopf, ein Kind noch, und singt "Valossn":
verlassen von der Mutter, später von all seinen guten Geistern. Franzobel
hat dem Frauenliebling und Serienmörder Jack Unterweger einen Monolog
gewidmet. "Black Jack" wurde bei den Festwochen Gmunden uraufgeführt.
Es ist heiß und stickig in der Galerie 422, wo Rudi Widerhofer in
die Rolle des Jack Unterweger schlüpft. Und das liegt nicht nur schwülen
Witterung draußen. Franzobel versucht dem Leben des Häfen-Poeten
mit 15 "Songs" gerecht zu werden. Es sind nicht mehr als kurze
Blitzlichter auf eine verkorkste Kindheit, auf einen selbstgerechten Frauenmörder,
auf einen, der nie erwachsen geworden ist, auf einen armseligen Perversen,
der sich mit einem Schuhband aus dem Leben und der Verantwortung stiehlt.
Rudi Widerhofer verleiht dem Spiel, von Regisseur Ernst Binder zügig
vorangetrieben, eine schweißgetränkte Intensität. Lothar
Lässer verdichtet die Atmosphäre mit seiner genialen Musik-Auswahl
und Begleitung am Akkordeon. Fünfviertelstunden Eintauchen in einen
befremdlichen Kosmos aus zwischenmenschlicher Kälte und mörderischer
Hitze.
MARTIN
HORNEGGER
KLEINE ZEITUNG, 22.08.2003
Das Hirnrasen eines
"Hurenbankerts"
"I hob ka Chance, außer de, de i ma selber gib": Franzobel
formt den unfaßbaren Jach Unterweger im Stück "Black Jack"
zur Theaterfigur
Valossn, valossn valossn
bin i, wia a Stan auf da Stroßn..., singen Rudi Widerhofer und Lothar
Lässer: 1950 wird Hansi U. als "Hurenbankert" geboren,
wächst bei seinem trunksüchtigen Großvater in Kärnten,
bei Pflegefamilien und in Heimen auf.
Wonn i mei Dirndle holsn tua, macht sie die Äuglan zua...: 1990 wird
Brunhilde Masser mit ihrem BH erdrosselt aufgefunden. Zehn weitere Postituierte
in Österreich, Tschechien und den USA sterben auf ähnliche Art.
Tatverdächtig: Jack U., der schon einmal 12 Jahre wegen Mordes einsaß.
Der Reebok-Turnschuah-Schuahbandl-Blues: Nach dem Urteil "Lebenslang!"
erhängt sich Jack U. im Juni 1994 in seiner Zelle.
Zwölf biografische Stationen Jack Unterwegers hat Franzobel zu einem
Theaterstück montiert: "Black Jack". Das Leben, ein Glücksspiel.
Ohne Glück. Auch der 36-jährige Erfolgsautor, für den sich
die Täterschaft Unterwegers "weder aufdrängt noch ausschließt",
kann sich wie alle vor ihm der Psychologisierung des "Mordpoeten"
(© "Bild") nicht entziehen. Er beugt aber mit bloßen
Bruchstücken aus dessen Vita vor, Bringschuld für ein deutliches
Bild oder gar für eine Wertung zu haben. Unterweger wurde gefasst.
Aber in Wahrheit war er nie zu fassen.
Regisseur Ernst M. Binder stellte für die Uraufführung von "Black
Jack" bei den Festwochen Gmunden den knochenharten Milieutext ohne
Beiwerk und mit Tempo auf die Bühne. Dort genügen Carlos Schiffmann
Nachttopf, Bierbank und eine Wäscheleine mit Hemd und Büstenhalter,
um Tristesse zu zeichnen. Lothar Lässer als "Kärntner Volldepp"
starrt, die Quetschn quetschend, vor sich hin, während Rudi Widerhofer
in einem Parforceritt über die diesmal nicht so hoch gebauten Satzhürden
Franzobels jagt. I wüll die Mutti wieda hobn! Kindlich, haltlos,
vulgär, herz- und hirnrasend, ist Widerhofer als Jack Unterweger
ein Ereignis für sich.
MICHAEL
TSCHIDA
e-mail von Dr. Astrid Wagner, der Autorin von KANNIBALENZEIT-Die Unterweger-Verschwörung
an Franzobel, 29.08.2003
Lieber Franzobel,
Muß Ihnen zur
gestrigen Premiere wirklich gratulieren! Ich kannte den Text Ihres Stückes
ja schon, aber eine Aufführung ist dann halt ganz was anderes! Und
da muß ich auch dem Regisseur gratulieren!
Was mich an dem Stück
insgesamt berührt, ist die vordergründige Ironie, hinter der
sich eine enorme Tiefe, eine ganz entsetzlich tiefe Traurigkeit verbirgt.
Dann die Dynamik des
Stücks... das kleine, in seiner Verletztheit schon lästige Hurenbankert
mutiert zum Tschik-rauchende Möchtegern-Zuhälter (Widerhofer
wirklich genial), der aber auch nicht mehr zustandebringt als Kleinkriminalität
a la Automatenaufbrechen... Der Jack Unterweger der 70iger kommt sehr
gut rüber (Bahnhöfe, Hamburg St. Pauli, Kleiner Strizzi - Unterweger
war ja nur knapp 1,70 groß!). Bei der Gelegenheit: Auch die musikalische
Untermalung war witzig und gelungen (vom Kärntner Heimatlied bis
zum Schlager "Dunja" - echt witzig!). Mir fiel ein, dass JU
mir einmal betreffs seines musikalischen Geschmacks schrieb: Alles aus
den 70igern, "da bin ich irgendwie steckengeblieben" (er drückte
sich in etwa so wörtlich aus).
Der JU der 70iger ist
ja einerseits aus "Fegefeuer" herauszulesen, andererseits kenn
ich einen Grazer, der mit ihm im berüchtigten KE war. Auch der ging
dann nach Deutschland, versuchte sich als Zuhälter, erhielt Aufenthaltsverbot,
in Ö dann mit 21 Jahren eine 7jährige Haftstrafe wg. Autoeinbrüchen...
Bis zu seinem Mord war JU eine typische kleinkriminelle "Krätzn"
wie so viele mit ähnlicher Biografie.
Als Kulminationspunkt
der Mord, auf den auch im Stück nicht weiter eingegangen wird. Denn
JU verdrängt dies, was ihm da "passiert" ist, zeitlebens.
Er kann - und will - sich das selbst gar nicht erklären, in Fegefeuer
kein Wort davon... Wobei ihm da der linke Zeitgeist der 70iger und 80iger
entgegekam - bei der Biografie, Herr Rat, mußte es ja so kommen....
Natürlich war er selbstmitleidig, wie man ihm später immer vorhielt.
Das sind übrigens so ziemlich alle, die im Gefängnis landen.
Entweder sowieso unschuldig oder die Kindheit war schuld. Viele bleiben
da stecken, erklären auch ihr Versagen im Leben in Freiheit damit.
Da hat JU schon einen Schritt weitergemacht, er ist mit seiner Biografie
dann nicht mehr hausieren gegangen, sondern hat sich - wie in Ihrem Stück
- gesagt: Du hast nur die Chance, die du dir selber gibst - nütze
sie!
Als eine, die JU kannte
(und durchaus nicht verklärte) muß ich Ihnen sagen, dass Ihr
Stück schon einige Facetten dieser sehr komplexen Persönlichkeit
rüberbringt. Auch seine ewige Suche, die ja auch eine religiöse
war. Gott kommt bei ihm immer wieder vor (er hatte ja Kontakt zu zwei
Klosterschwestern und einem Mönch. Mit einer der Klosterschwestern
bin ich noch heut in Kontakt). Er glaubte auch an das Schicksal, sah in
vielem Zeichen, Omen udgl.
Übrigens: Machen
Sie sich nichts aus der bescheuerten Standard-Kritik, aus der schon regelrechter
Haß trieft. Diese Kritik ist nämlich psychologisch hochinteressant.
Nicht minder interessant als die Persönlichkeit Unterwegers waren
ja die Reaktionen, die er bei seinen MItmenschen auslöste (einmal
sagte er zu mir: "Ich polarisiere stark"). Bei den Frauen: Die
Ansicht, dass diese seinem unwiderstehlichen erotischen Charme erlegen
seien, kann ich so nicht bestätigen. Sie beruht auf typischen Männerängsten.
Da gab es einerseits jene Frauen, die ihn sexuell ausbeuteten. Typische
Repräsentatin dieser Gruppe ist die Unternehmersgattin, die sich
JU als geheimen Geliebten hielt (der heimlich in der Sauna versteckt im
Haus übernachtete!), ihm Geld zusteckte, und dann auch noch eifersüchtig
auf seine Geliebten reagierte. Und andererseits jene Frauen, die er bei
ihrem Mutterkomplex angesprochen hat. Sicher gehöre auch ich hier
dazu. Wobei ich mir dieses Umstandes aber voll bewußt bin; und meine
"mütterlichen" Gefühle für einen vom Schicksal
ungerecht behandelten Menschen (der im Grunde immer der kleine mutterlose
Bua aus der Körblerkeusche blieb) sehr wohl auseinanderhalten kann
vom Unrecht, das die Justiz einem Menschen zufügt. Die Naivität,
mit der Literaten, Künstler, Intellektuelle und eben auch Literaturkritiker
nämlich von der Richtigkeit eines Gerichtsurteils ausgehen, ist für
mich als Anwältin schon erschreckend. Man hat außerhalb des
Systems offenbar keine Ahnnung, wie es bei Gericht - und insbesondere
im Bereich der Strafjustiz - wirklich zugeht. Wer die Justiz kennt, muß
einfach zugestehen, dass es gerade bei Strafurteilen (und da wohl am meisten
bei den Geschworenenurteilen) eine "Justizirrtumsquote" von
zumindest 10% gibt. Und gerade im Fall Unterweger ist da eben einiges
schiefgelaufen. (Die -allerdings polizei- und justizfreundlichen - Gerichtsreporter
sind da schon kritischer, einige von mir steckten mir zu, dass sie überzeugt
seien, dass zumindest nicht alle Morde auf Unterwegers Konto gehen würden...
Wem das nicht reicht, der kann auch noch das Buch "die Geschworene"
der Rechtsanwältin Katharina Zara nachlesen, zum Fall Foco.
Zurück zum Polarisieren:
Und bei den Männern gab und gibt es jene Gruppe, bei denen Unterweger
einen echten Penisneid auslöst - was hat der, dass die Weiber so
auf ihn fliegen??!!! Und zu ebenjener Gruppe gehört eben unser Standard-Kritiker,
der unfähig ist, sachlich über das Stück zu schreiben.
Und im Gegensatz zu
ihm bin auch der Ansicht, dass Ihr Stück den arroganten "Club
2" Unterweger echt rüberbringt. Der sehr gute Schauspieler Widerhofer
schaut halt nicht so aus wie der im Club 2 so dandyhaft wirkende JU. Im
Kino hätt man halt einen Schauspieler genommen, der ihm optisch ähnlich
schaut. Aber Theater ist halt was anderes, da muß der Zuschauer
aktiv mittun, um sich ins Geschehen zu versetzen. Ebendies erkannte Herr
Standard nicht.
Nochmal zum Stück:
Auch die Dyanamik am Schluß, wo sich alles zum Serienmordprozeß
und schließlich Selbstmord zuspitzt, ist genial. Und der Reebok-Blues
ein genialer Schachzug einer Zusammenfassung aller Verletzungen, die man
ihm zugefügt hat. Nochmal, wenn der Kritiker von Selbstmitleid spricht
- ich meine, einer, dem das Leben übel mitspielt, hat wohl das Recht
auf Selbstmitleid. Ich jedenfalls bin fast täglich mit Selbstmitleid
konfrontiert, vor allem im Strafrecht.
Abschließend
sag ich Ihnen: Herrn Unterweger hätte Ihr Stück nicht gefallen!
Weil es ihn einerseits so darstellt, wie er war; anderseits so, wie er
gerne sein hätte wollen - aber nicht war!
So, das waren ein paar spontane, ungeordnete Gedanken zum gestrigen Abend.
Wünsche Ihnen
noch viel Erfolg!
Astrid Wagner
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