Counter und Statistik

Franzobel
BLACK JACK
mit Rudi Widerhofer als Jack Unterweger
und Lothar Lässer als Kärntner Volldepp

Musik: Lothar Lässer
Inszenierung: Ernst M. Binder
Ausstattung: Carlos Schiffmann
Dramaturgie: Alexandra Rollett
Licht: Geari Schreilechner

Uraufführung: 20. August 2003, 20:30, Festwochen Gmunden

Der schrille Monolog des Bachmannpreisträgers und Meisters der skurrilen Phantasie Franzobel folgt dem „Fürsorgefratz“, „Hurenbankerl“, „Frauenliebling“ und Massenmörder auf den wichtigsten Stationen seiner Biografie und zeigt den Menschen hinter dem Medien- und Rechtsphänomen Unterweger, seine Schrullen, Sehnsüchte und Lebensanschauungen in einem Kosmos voller Perversität und zwischenmenschlicher Kälte.

Eine Co-Produktion des forum stadtpark theater / dramagraz
mit Festwochen Gmunden und dietheater, Wien

pressereaktionen 09

KLEINE ZEITUNG, 20.08.2003

Franzobels Annäherung an Jack Unterweger
"War a's? Oder war a's net?" Eine Annäherung an den mutmaßlichen Serienmörder.

KLEINE ZEITUNG: Was erwartet den Zuseher bei der Uraufführung von "Black Jack" in Gmunden?
FRANZOBEL: Ein zwölfteiliges Stationendrama über das Leben Jack Unterwegers - von Dialogen seines Großvaters mit dessen Geliebter, die er als Fünfjähriger gehört hatte, über seine Flucht mit Freundin Bianca nach Miami bis zum Selbstmord im Gefängnis.
KLEINE ZEITUNG: Wie groß war Ihr Anspruch auf historische Wahrheit im Stück?
FRANZOBEL: Sehr viel ist wahr. Ich habe alles gelesen, was von und über Unterweger geschrieben wurde, Originalunterlagen aus seinem Nachlass und Astrid Wagners Buch "Ein Mörder für alle Fälle", in dem seine Geschichte juristisch aufgearbeitet ist. Ich habe Interviews und Tondokumente durchgehört. Dann ist alles wie ein Schwall aus mir heraus, dabei habe ich auch vieles literarisch weiterphantasiert.
KLEINE ZEITUNG: Was war der Reiz an der Figur Unterweger?
FRANZOBEL: Schon wie sein Fall 1992/93 in den Medien aufgetaucht ist, habe ich mich für ihn interessiert. Dazu die bis heute offenen Fragen: War Unterweger ein ewiges Opfer von Jugend an? Oder war er ein unglaublich raffinierter Charakter? In "Black Jack" heißt es an einer Stelle: "War a s, war a s net?" Sind Sie für sich beim Schreiben der Antwort näher gekommen?
FRANZOBEL: Als Autor konnte ich da natürlich viel zu wenig recherchieren. So lang kein anderer die Serienmorde zugibt, werden wir es nie wissen. Es drängt sich aber nicht gerade auf, dass er elf Prostituierte umgebracht haben soll, wenn er in den eineinhalb Jahren zwischen seiner Haftentlassung 1990 und der neuerlichen Festnahme an die 40 Geliebte gehabt hat.
KLEINE ZEITUNG: Am Volkstheater steht "Mozarts Vision" auf dem Spielplan, am Burgtheater eine Schwab-Hommage? Drängt es Sie, beim "work in progress" dabei zu sein?
FRANZOBEL: Ich besuche gern die ersten Leseproben, weil meine Texte ja rhythmisch sehr diffizil sind. Auch die letzten Durchläufe zu sehen ist spannend und befruchtend für das Schreiben. Aber die lange Mittelstrecke! Als Autor kann man da nichts machen, kriegt nur mit, wenn Schauspieler die Nerven wegschmeißen, technisch, organisatorisch, finanziell etwas nicht klappt.
KLEINE ZEITUNG: Was macht Ihr Faible, der Sport?
FRANZOBEL: Ich schreibe für die Sonntagsausgabe der "Neuen Züricher Zeitung" eine Sportkolumne. Das macht unglaublichen Spaß, Alltagsphilosophien zu verfassen und damit Leute zu erreichen, die die Kultur sonst nie anschauen. Aktiv war ich in diesem Wahnsinnssommer sehr oft schwimmen. Und ich spiele regelmäßig Fußball mit einer Juxpartie. Von gestern habe ich noch einen ordentlichen Muskelkater.

INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA


FALTER, 35/03

Jack is back
Die Wiener Theatersaison beginnt mit einem furiosen Solo: In seinem Monolog "Black Jack" bringt Franzobel das Leben des Schriftstellers und Frauenmörders Jack Unterweger auf die Bühne.

Jach Unterweger war ein Schriftsteller, der nicht schreiben konnte, ein Frauenmörder, den die Frauen liebten, und ein Medienstar, der von den Medien gejagt wurde. Kurz: Jack Unterweger (1950-1964) war eine interessante Persönlichkeit, an der das Theater nicht vorbeikann...
... Franzobel, Österreichs produktivster Schriftsteller, hat im Auftrag des Grazer forum stadtpark theaters den Monolog "Black Jack" geschrieben.
Obwohl das Stück an Unterwegers Biografie entlanggeschrieben ist, handelt es sich nicht um dokumentarisches Theater: Der Autor vermischt Dichtung und Wahrheit (zum Beispiel ist Unterweger im Klagenfurter Bahnhofsrestaurant in Wirklichkeit nicht Ingeborg Bachmann begegnet) und schafft auf diese Weise eine Kunstfigur, die Unterweger dann doch wieder ziemlich nahe kommt. "Der Jack Unterweger ist ein Mensch mit einer ungeheuren Unterkellerung", meint Franzobel. "Das Stück will da hinunter wie ein Draht, den man in die Kanalisation hängt, was raufziehen, sich an Dreck und verlorenem Schmutz freuen."
...
War ers oder war ers nicht? "Für mich sind beide Versionen interessant", antwortet Franzobel ausweichend. "Ich meine: Der Mann hat jede Woche eine andere Frau gehabt – daneben noch elf weitere umzubringen wäre schon sehr eigenartig. Und wenn ers nicht war, dann war er ein ziemliches Opfer. Dann ist er medial hingerichtet worden. Auch Ernst M. Binder, der Regisseur der Uraufführung, will in dieser Frage "absichtlich keine Stellung beziehen".
Seine Inszenierung ist ausgesprochen schlicht gehalten. Auf der kleinen Bühne steht eine Heurigenbank, dahinter ist eine Wäscheleine gespannt. Auf der Bank sitzen der Musiker Lothar Lässer mit einem Akkordeon und der Schauspieler Rudi Widerhofer, der als Jack Unterweger eine atemberaubende Performance bietet.
In den 14 Szenen, die Binder als (gesprochene) "Songs" interpretiert, zeigt Widerhofer stets mindestens zwei Gesichter: Der ganz junge Jack, dieses "aus der Fut außagschissene Hurenbankert", ist sowohl unschuldig als auch grausam; der lebenslänglich eingesperrte Häftling Jack ist dermaßen selbstmitleidig, daß es schon wieder aggressiv wirkt; der späte Unterweger ist schlau und naiv, schüchtern und brutal zugleich. Am Ende des in kampakter CD-Länge (knapp siebzig Minuten) gehaltenen Abends steht der Blues auf das "Reebok-Turnschuh-Schuhbandl", an dem er sich erhängt hat. "Du, mein Schuhbandl vom Reebok-Turnschuh, du Mörder, du Serienkiller du."

WOLFGANG KRALICEK


DER STANDARD, 22.08.2003

Untergeher Unterweger
Gescheitert: Franzobels Jack-Unterweger-Stück "Black Jack" wurde in Gmunden uraufgeführt

Gmunden – Der Schauplatz der monologischen Dramen-Geburt war an sich gut gewählt. Denn welches Ambiente könnte eine prickelndere Verpackung für ein theatralisiertes, wüstes Männerleben im Sog des Weiblichen abgeben als Arnulf Rainers von blutroten Farbschlieren umspielte Prachtkurven der Kunstgeschichte?
Allein: Anlässlich der Uraufführung von Franzobels Frauenmörder-Gesang Black Jack in der Edelgalerie 422 im Rahmen der Gmundner Festspiele wurde schnell klar, dass das verfeinerte Spät-Raffinement des Malers rein gar nichts mit den Zoten-Kaskaden aus dem Mund jenes Todesengels zu tun hat, der sich vor Jahren durch Zellen-Suizid endgültig in den Spitzenrang einer dämonischen Kultfigur katapultiert hat.
Der Vöcklabrucker Meister des enthemmten Wortschwalls ist der Versuchung erlegen, die düster schillernde Aura eines Schwerstverbrechers aus einem vulgärpsychologischem Ansatz aufschließen zu wollen.
Aus dem sozial verletzten Kind mit kreativen Anlagen musste jener bizarre Grenzgänger zwischen Mädchenmetzgerei und Kulturschickeria werden, jener einzigartige Charmebolzen, dem Serien von täuschungsbereiten Frauen im wahrsten Sinn des Wortes erlegen sind.
Wer den wie eine exotische Kostbarkeit herumgereichten Unterweger gekannt hat, die aus dem Kindergesicht sickernde, sanfte Weinerlichkeit des selbstinszenierten Gesellschaftsopfers, wird kaum Parallelitäten zu Franzobels primitivem Klischeegeschöpf feststellen.
Unterweger hatte sich als zerbrechlicher, effeminierter Gigolo stilisiert, den der Außenstehende eher im schwulen Lager zu vermuten geneigt war. Die Wirklichkeit war blutig anders. Nichts von dieser brisanten Widersprüchlichkeit klingt in Franzobels schlichten, schäumenden Ergüssen an, die weder von Regisseur Ernst M. Binder noch vom Darstellersolisten Rudi Widerhofer interessant gebrochen werden.
Es bleibt bei einem nervenden, genitalischen Blues – garniert mit älplerischer Folklore und Schlagertran aus der Ziehharmonika.
Franzobels Versuch, der wirklichen Finsternis auf die Spur zu kommen, ist gescheitert. Killer-Seelenbilder der besonderen Art entstehen eher im Kino, nicht auf der Bühne. Der Totmacher mit Götz George hat es vorbildlich vorgemacht. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2003)

ANTON GUGG


Mailantworten der STANDARD-Leser!


umstrittener mörder?
ich habs zwar nicht gesehen, wie ohnehin kein franzobel-stück, aber eine der sehr wenigen franzobel-sachen, die ich gelesen habe ist "linz eine obsession". auch dort geht es um einen frauenmörder und das ist wie offenbar alles ein wortschwall, aber psychologisch schlecht. psychologie ist alles andere als franzobels stärke. zu unterweger: ich habe mich vor jahren einmal mit astrid wagner unterhalten, die juristin, die sich damals für ihn einsetzte und mit der die öffentlichkeit nichts besseres zu tun wusste, als ihre analytische begabung einem angeblichen "dem mörder-verfallen-sein" unter zu ordnen. aus ihren empirischen analysen ist sehr deutlich geworden, dass nie bewiesen wurde, dass er der massenmörder gewesen ist. ein ihn ...

athene 2003 | 21.08.2003 23:24


ich habs gesehen
und ich fands beeindruckend. Was der Kritiker da schreibt ist boshafter Unsinn. Wer Gelegenheit hat, soll hingehen, es ist ein packender Abend - klischeehaft ist da überhaupt nichts. Der Schauspieler ist phantastisch. Schade, dass es den Text nirgendwo gibt.


aphrodite göttlicher | 21.08.2003 20:32


"Austrian Psycho" als Pendant
zu Bret Easton Ellis´"American Psycho" wäre auch recht treffend gewesen.


Nobody does it better | 21.08.2003 18:46


DIE PRESSE, 30.08.2003

Zu viel Jack, zu wenig Franzobel
Der Bachmann Preisträger umkreiste aufopfernd und selbstvergessen Jack Unterweger.

...
Rudi Widerhofer gibt diesem Jack soviel Theater-Farbe wie möglich. Doch zeigt er eher einen unverbesserlichen Strizzi als einen unheimlichen Menschen, der, zwischen Zynismus und Selbstmitleid, schwankend durchs Leben turnt. Unterweger hatte was – etwas, das Widerhofer fehlt. Vielleicht Absicht in der Inszenierung von Ernst M. Binder, die auf mildernde Umstände zielt, nicht juristisch, aber menschlich. Jack als Opfer der Verhältnisse, das hatten wir schon. Der Glaube an die Verbesserung des Menschen ist etwas verblasst. Hat Franzobel zu viel recherchiert? Die Aufführung ist jedenfalls immer dann am besten, wenn der Dichter seine Trümpfe ausspielt. Beim "Black Jack" mit Jack hätte Franzobel gewonnen, er wollte aber offenbar Jack gewinnen lassen.

BARBARA PETSCH


OÖ-Nachrichten, 22.08.2003

In ein dreckiges Leben gestoßen
Franzobels Unterweger-Stück "Black Jack" bei den Festwochen Gmunden uraufgeführt

Wie ein gerade geschlüpftes Küken, verunsichert, zitternd und verkrampft, sitzt diese nackte Kreatur auf einem Nachttopf, - soeben ungeschützt in ein dreckiges Leben gestoßen. Der Musiker stimmt mit der Zieharmonika eine Volksweise an, die beiden singen vom Allein- und Verlassensein. Dieses nackte und "geschissene Hurenbankert" beginnt von seinen Lebensstationen zu erzählen, in einem Monolog mit fiktiven Gesprächspartern.
Der Musiker sitzt schweigend daneben, nickt manchmal, summt, ist Zuhörer der Bühnenfigur Jack Unterweger. Der oö. Autor Franzobel hat den Monolog "Black Jack" als Collage aus realen Unterweger-Texten und eigenen Texteinschüben und Textweiterführungen verfasst. Die Uraufführung war im Rahmen der Feswochen Gmunden am Mittwochabend im beinahe unertäglich heißen Veranstaltungsraum der Galerie 422 in Gmunden.
Naturgemäß läuft dieser Monolog in nicht gerade feiner Sprache ab, ist gespickt mit Fäkalausdrücken. Die Inhalte sind nicht Alltag, zumindest nicht jener von so genannten Durchschnittsmenschen. Wie denn auch? Denn hier erzählt einer aus der Gosse vom Prostituiertenmilieu, vom Gefängnis, vom Vergewaltigen, Zuschlagen und Morden. Auch von Sehnsüchten und Träumen. Bei der Erzählung jeder Lebensstation zieht sich die vorerst nackte Kreatur ein Kleidungsstück mehr an, - die Schutzhülle wird dicker, die Haut darunter aber bleibt dünn.
Schauspieler Rudi Widerhofer ist dieser schmächtige, kleine Mann, der von der Statur her dem wirklichen Unterweger so ähnlich ist. Er erzählt mit irrem und verwirrtem Blick von der Suche nach seiner Mutter, mimt den sanften und einschmeichelnden Liebhaber und Frauenhelden genauso wie den brutalen Zuhälter und Mörder, der aber nie von Mord, sondern nur von der "Tat" spricht.
Ob Schizophrenie, ob Meister der Verdrängung, ob kluge Taktik, um unschuldig zu wirken, ob ein zu Unrecht Verurteilter? "Black Jack" gibt keine Antworten, kann es auch nicht. Denn Faktum ist: Jack Unterweger wurde als Mörder verurteilt.
Nur selten ist eindeutig erkennbar, welche Texte von Unterweger, welche von Franzobel sind, denn alle verschmelzen zu einem homogenen Ganzen ohne hohen literarischen Anspruch, aber mit dem Anspruch nach Authentizität.
Regisseur Ernst M. Binder, spezialisiert auf österreichische Gegenwartsautorenschaft, hat die Bühnenfigur Unterweger als manchmal Mitleid, dann wieder Ekel erregende Charakterstudie gezeichnet. Und dabei die Melodik, den Franzobel'schen Sprachrhythmus aufgenommen, dem Schauspieler deshalb auch den Musiker Lothar Lässer an die Seite gesetzt.
Ein kurzes Stück über ein kurzes Leben, und vor allem deshalb beklemmend, weil hier zwar Theater gespielt wird, die Realität dahinter aber gegenwärtig ist.

SILVIA NAGL


Neues Volksblatt, 22.08.03

Schlechte Karten für „Black Jack“ Unterweger
Franzobels literarische Annäherung an den Serienmörder und „Häfenpoeten“ bei den Festwochen Gmunden

Jack Unterweger beschäftigte fast ein Jahrzehnt hindurch die Gerichte und die Öffentlichkeit. 1974 wegen Mord zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, erschrieb er sich in der Haftanstalt Stein mit seinen Romanen „Im Fegefeuer“ und „Endstation Zuchthaus“ medienwirksamen literarischen Ruhm. 1990 als Musterbeispiel einer gelungenen Resozialisierung auf Bewährung entlassen, fiel nach einer Mordserie an elf Prostituierten der Verdacht erneut auf Unterweger, der stets seine Unschuld beteuerte. In einem Fall aufgrund einer Haar-analyse eindeutig überführt, wurde er 1994 wegen neunfachen Mordes schuldig gesprochen und erhängte sich daraufhin in seiner Zelle. - Autor Franzobel verdichtete diese Stationen in einen rund eineinviertel Stunden langen dichten Monolog, der am Mittwoch im Rahmen der Gmundner Festwochen zur Uraufführung kam. Regisseur Ernst Binder wählte als Ort dafür die Galerie 422, in die er die winzige, schwarz ausgeschlagene Guckkastenbühne zwängte — Chiffre auch für die beengten Chancen für das „Hurenkind“, das fürs Leben schlechte Karten mitbekommen hatte. Protagonist Rudi Widerhofer zeichnet differenziert eine „Karriere“ zwischen dem lebenslang ungestillten Liebeshunger eines vernachlässigten Kindes, das nie erwachsen wird, durchbrechender Aggressivität und dem kurzen Glanz, in dem sich der „Häfenpoet“ sonnen durfte. Teibendes Element ist die Musik, die Akkordeonist Lothar Lässer — auch in der Rolle des stummen Ansprechpartners — beisteuert. Fazit: Der Versuch einer Annäherung, denn die ganze Wahrheit hinter dem Phänomen Jack Unterweger lässt sich wohl nie mehr aufklären.

BIRGIT THEK


KRONENZEITUNG OÖ, 22.08.2003

15 Songs für einen Mörder

So wie Gott ihn schuf, kauert er auf einem Nachttopf, ein Kind noch, und singt "Valossn": verlassen von der Mutter, später von all seinen guten Geistern. Franzobel hat dem Frauenliebling und Serienmörder Jack Unterweger einen Monolog gewidmet. "Black Jack" wurde bei den Festwochen Gmunden uraufgeführt.
Es ist heiß und stickig in der Galerie 422, wo Rudi Widerhofer in die Rolle des Jack Unterweger schlüpft. Und das liegt nicht nur schwülen Witterung draußen. Franzobel versucht dem Leben des Häfen-Poeten mit 15 "Songs" gerecht zu werden. Es sind nicht mehr als kurze Blitzlichter auf eine verkorkste Kindheit, auf einen selbstgerechten Frauenmörder, auf einen, der nie erwachsen geworden ist, auf einen armseligen Perversen, der sich mit einem Schuhband aus dem Leben und der Verantwortung stiehlt.
Rudi Widerhofer verleiht dem Spiel, von Regisseur Ernst Binder zügig vorangetrieben, eine schweißgetränkte Intensität. Lothar Lässer verdichtet die Atmosphäre mit seiner genialen Musik-Auswahl und Begleitung am Akkordeon. Fünfviertelstunden Eintauchen in einen befremdlichen Kosmos aus zwischenmenschlicher Kälte und mörderischer Hitze.

MARTIN HORNEGGER


KLEINE ZEITUNG, 22.08.2003

Das Hirnrasen eines "Hurenbankerts"
"I hob ka Chance, außer de, de i ma selber gib": Franzobel formt den unfaßbaren Jach Unterweger im Stück "Black Jack" zur Theaterfigur

Valossn, valossn valossn bin i, wia a Stan auf da Stroßn..., singen Rudi Widerhofer und Lothar Lässer: 1950 wird Hansi U. als "Hurenbankert" geboren, wächst bei seinem trunksüchtigen Großvater in Kärnten, bei Pflegefamilien und in Heimen auf.
Wonn i mei Dirndle holsn tua, macht sie die Äuglan zua...: 1990 wird Brunhilde Masser mit ihrem BH erdrosselt aufgefunden. Zehn weitere Postituierte in Österreich, Tschechien und den USA sterben auf ähnliche Art. Tatverdächtig: Jack U., der schon einmal 12 Jahre wegen Mordes einsaß.
Der Reebok-Turnschuah-Schuahbandl-Blues: Nach dem Urteil "Lebenslang!" erhängt sich Jack U. im Juni 1994 in seiner Zelle.
Zwölf biografische Stationen Jack Unterwegers hat Franzobel zu einem Theaterstück montiert: "Black Jack". Das Leben, ein Glücksspiel. Ohne Glück. Auch der 36-jährige Erfolgsautor, für den sich die Täterschaft Unterwegers "weder aufdrängt noch ausschließt", kann sich wie alle vor ihm der Psychologisierung des "Mordpoeten" (© "Bild") nicht entziehen. Er beugt aber mit bloßen Bruchstücken aus dessen Vita vor, Bringschuld für ein deutliches Bild oder gar für eine Wertung zu haben. Unterweger wurde gefasst. Aber in Wahrheit war er nie zu fassen.
Regisseur Ernst M. Binder stellte für die Uraufführung von "Black Jack" bei den Festwochen Gmunden den knochenharten Milieutext ohne Beiwerk und mit Tempo auf die Bühne. Dort genügen Carlos Schiffmann Nachttopf, Bierbank und eine Wäscheleine mit Hemd und Büstenhalter, um Tristesse zu zeichnen. Lothar Lässer als "Kärntner Volldepp" starrt, die Quetschn quetschend, vor sich hin, während Rudi Widerhofer in einem Parforceritt über die diesmal nicht so hoch gebauten Satzhürden Franzobels jagt. I wüll die Mutti wieda hobn! Kindlich, haltlos, vulgär, herz- und hirnrasend, ist Widerhofer als Jack Unterweger ein Ereignis für sich.

MICHAEL TSCHIDA


e-mail von Dr. Astrid Wagner, der Autorin von KANNIBALENZEIT-Die Unterweger-Verschwörung an Franzobel, 29.08.2003

Lieber Franzobel,

Muß Ihnen zur gestrigen Premiere wirklich gratulieren! Ich kannte den Text Ihres Stückes ja schon, aber eine Aufführung ist dann halt ganz was anderes! Und da muß ich auch dem Regisseur gratulieren!

Was mich an dem Stück insgesamt berührt, ist die vordergründige Ironie, hinter der sich eine enorme Tiefe, eine ganz entsetzlich tiefe Traurigkeit verbirgt.

Dann die Dynamik des Stücks... das kleine, in seiner Verletztheit schon lästige Hurenbankert mutiert zum Tschik-rauchende Möchtegern-Zuhälter (Widerhofer wirklich genial), der aber auch nicht mehr zustandebringt als Kleinkriminalität a la Automatenaufbrechen... Der Jack Unterweger der 70iger kommt sehr gut rüber (Bahnhöfe, Hamburg St. Pauli, Kleiner Strizzi - Unterweger war ja nur knapp 1,70 groß!). Bei der Gelegenheit: Auch die musikalische Untermalung war witzig und gelungen (vom Kärntner Heimatlied bis zum Schlager "Dunja" - echt witzig!). Mir fiel ein, dass JU mir einmal betreffs seines musikalischen Geschmacks schrieb: Alles aus den 70igern, "da bin ich irgendwie steckengeblieben" (er drückte sich in etwa so wörtlich aus).

Der JU der 70iger ist ja einerseits aus "Fegefeuer" herauszulesen, andererseits kenn ich einen Grazer, der mit ihm im berüchtigten KE war. Auch der ging dann nach Deutschland, versuchte sich als Zuhälter, erhielt Aufenthaltsverbot, in Ö dann mit 21 Jahren eine 7jährige Haftstrafe wg. Autoeinbrüchen... Bis zu seinem Mord war JU eine typische kleinkriminelle "Krätzn" wie so viele mit ähnlicher Biografie.

Als Kulminationspunkt der Mord, auf den auch im Stück nicht weiter eingegangen wird. Denn JU verdrängt dies, was ihm da "passiert" ist, zeitlebens. Er kann - und will - sich das selbst gar nicht erklären, in Fegefeuer kein Wort davon... Wobei ihm da der linke Zeitgeist der 70iger und 80iger entgegekam - bei der Biografie, Herr Rat, mußte es ja so kommen.... Natürlich war er selbstmitleidig, wie man ihm später immer vorhielt. Das sind übrigens so ziemlich alle, die im Gefängnis landen. Entweder sowieso unschuldig oder die Kindheit war schuld. Viele bleiben da stecken, erklären auch ihr Versagen im Leben in Freiheit damit. Da hat JU schon einen Schritt weitergemacht, er ist mit seiner Biografie dann nicht mehr hausieren gegangen, sondern hat sich - wie in Ihrem Stück - gesagt: Du hast nur die Chance, die du dir selber gibst - nütze sie!

Als eine, die JU kannte (und durchaus nicht verklärte) muß ich Ihnen sagen, dass Ihr Stück schon einige Facetten dieser sehr komplexen Persönlichkeit rüberbringt. Auch seine ewige Suche, die ja auch eine religiöse war. Gott kommt bei ihm immer wieder vor (er hatte ja Kontakt zu zwei Klosterschwestern und einem Mönch. Mit einer der Klosterschwestern bin ich noch heut in Kontakt). Er glaubte auch an das Schicksal, sah in vielem Zeichen, Omen udgl.

Übrigens: Machen Sie sich nichts aus der bescheuerten Standard-Kritik, aus der schon regelrechter Haß trieft. Diese Kritik ist nämlich psychologisch hochinteressant. Nicht minder interessant als die Persönlichkeit Unterwegers waren ja die Reaktionen, die er bei seinen MItmenschen auslöste (einmal sagte er zu mir: "Ich polarisiere stark"). Bei den Frauen: Die Ansicht, dass diese seinem unwiderstehlichen erotischen Charme erlegen seien, kann ich so nicht bestätigen. Sie beruht auf typischen Männerängsten. Da gab es einerseits jene Frauen, die ihn sexuell ausbeuteten. Typische Repräsentatin dieser Gruppe ist die Unternehmersgattin, die sich JU als geheimen Geliebten hielt (der heimlich in der Sauna versteckt im Haus übernachtete!), ihm Geld zusteckte, und dann auch noch eifersüchtig auf seine Geliebten reagierte. Und andererseits jene Frauen, die er bei ihrem Mutterkomplex angesprochen hat. Sicher gehöre auch ich hier dazu. Wobei ich mir dieses Umstandes aber voll bewußt bin; und meine "mütterlichen" Gefühle für einen vom Schicksal ungerecht behandelten Menschen (der im Grunde immer der kleine mutterlose Bua aus der Körblerkeusche blieb) sehr wohl auseinanderhalten kann vom Unrecht, das die Justiz einem Menschen zufügt. Die Naivität, mit der Literaten, Künstler, Intellektuelle und eben auch Literaturkritiker nämlich von der Richtigkeit eines Gerichtsurteils ausgehen, ist für mich als Anwältin schon erschreckend. Man hat außerhalb des Systems offenbar keine Ahnnung, wie es bei Gericht - und insbesondere im Bereich der Strafjustiz - wirklich zugeht. Wer die Justiz kennt, muß einfach zugestehen, dass es gerade bei Strafurteilen (und da wohl am meisten bei den Geschworenenurteilen) eine "Justizirrtumsquote" von zumindest 10% gibt. Und gerade im Fall Unterweger ist da eben einiges schiefgelaufen. (Die -allerdings polizei- und justizfreundlichen - Gerichtsreporter sind da schon kritischer, einige von mir steckten mir zu, dass sie überzeugt seien, dass zumindest nicht alle Morde auf Unterwegers Konto gehen würden... Wem das nicht reicht, der kann auch noch das Buch "die Geschworene" der Rechtsanwältin Katharina Zara nachlesen, zum Fall Foco.

Zurück zum Polarisieren: Und bei den Männern gab und gibt es jene Gruppe, bei denen Unterweger einen echten Penisneid auslöst - was hat der, dass die Weiber so auf ihn fliegen??!!! Und zu ebenjener Gruppe gehört eben unser Standard-Kritiker, der unfähig ist, sachlich über das Stück zu schreiben.

Und im Gegensatz zu ihm bin auch der Ansicht, dass Ihr Stück den arroganten "Club 2" Unterweger echt rüberbringt. Der sehr gute Schauspieler Widerhofer schaut halt nicht so aus wie der im Club 2 so dandyhaft wirkende JU. Im Kino hätt man halt einen Schauspieler genommen, der ihm optisch ähnlich schaut. Aber Theater ist halt was anderes, da muß der Zuschauer aktiv mittun, um sich ins Geschehen zu versetzen. Ebendies erkannte Herr Standard nicht.

Nochmal zum Stück: Auch die Dyanamik am Schluß, wo sich alles zum Serienmordprozeß und schließlich Selbstmord zuspitzt, ist genial. Und der Reebok-Blues ein genialer Schachzug einer Zusammenfassung aller Verletzungen, die man ihm zugefügt hat. Nochmal, wenn der Kritiker von Selbstmitleid spricht - ich meine, einer, dem das Leben übel mitspielt, hat wohl das Recht auf Selbstmitleid. Ich jedenfalls bin fast täglich mit Selbstmitleid konfrontiert, vor allem im Strafrecht.

Abschließend sag ich Ihnen: Herrn Unterweger hätte Ihr Stück nicht gefallen! Weil es ihn einerseits so darstellt, wie er war; anderseits so, wie er gerne sein hätte wollen - aber nicht war!
So, das waren ein paar spontane, ungeordnete Gedanken zum gestrigen Abend.

Wünsche Ihnen noch viel Erfolg!

Astrid Wagner